Die Blutlüge und die Meinungsfreiheit

Israel liegt falsch, wenn es von Schwedens Regierung eine Entschuldigung für einen Zeitungsartikel verlangt.

Das schwedische Revolverblatt „Aftonbladet“ hat unlängst eine erbärmlich recherchierte Geschichte mit Anklängen an den alten antisemitischen Ritualmordtopos veröffentlicht. Der freie Journalist Donald Boström stellt in seinem Artikel den Vorwurf in den Raum, israelische Soldaten hätten Palästinensern Organe entnommen und damit Handel getrieben. Beweise liefert er nicht. In wilder Manier verbindet der Schreiber Gerüchte, die seit Jahren unter Palästinensern kursieren, mit einer Organhandelaffäre, die jüngst in den USA aufgeflogen ist und in die Juden verwickelt sind. Und eine eigene Beobachtung mischt er auch noch unter sein wüstes Potpourri: 1992 habe er die Leiche eines Palästinensers fotografiert, den Israels Armee an die Hinterbliebenen übergeben habe. Der leblose Körper sei an Brust und Bauch vernarbt gewesen, also offenbar obduziert worden.

Es ist nur allzu verständlich, dass jüdische Bürger wütend auf das Pamphlet reagieren. Denn Widerlicheres hätte man der israelischen Armee und damit auch dem Staat Israel kaum unterstellen können. Die unbewiesene Buchstabensuppe, die Daniel Boström zusammengebraut hat, weckt bei Juden Assoziationen zur mittelalterlichen Blutlüge: Um das Jahr 1200 tauchte in Frankreich erstmals die Anschuldigung auf, Juden hätten Christenkinder ermordet, um deren Blut fürs Pessach-Fest zu verwenden. Ein Pogrom gegen Juden, das erste in Frankreich, war die Folge. In den Jahrhunderten danach wurden in ganz Europa immer wieder Judenverfolgungen mit derlei Hirngespinsten gerechtfertigt.

„Aftonbladet“ hätte den Artikel, dessen unbewiesene Behauptungen antisemitische Ressentiments schüren, besser nicht abgedruckt. Die Redaktion hätte mehr Feingefühl zeigen und mehr journalistische Sorgfalt walten lassen müssen.

Dennoch ist die Reaktion der israelischen Regierung auf das windige Elaborat völlig überzogen. Der Artikel war auf einer der hinteren Seiten der schwedischen Zeitung platziert. Er wäre, wie Lena Posner, die Vorsitzende der jüdischen Gemeinden Schwedens in der israelischen Zeitung „Haaretz“ angemerkt hat, wohl kaum einer breiteren Öffentlichkeit aufgefallen, wenn die israelische Regierung nicht so harsch darauf geantwortet hätte.

Als Erster schoss Israels Vize-Außenminister übers Ziel: Er verlangte eine offizielle Entschuldigung der schwedischen Regierung. Diese Forderung verrät ein etwas eigenartiges Demokratieverständnis: Politiker sind nicht verantwortlich für das, was in unabhängigen Zeitungen steht. Deshalb wäre es auch absurd, wenn sie dafür um Verzeihung bäten.

Die Vorgangsweise der israelischen Rechtsrabauken-Regierung erinnert an den sogenannten Karikaturenstreit vor vier Jahren. Damals wollten islamische Staaten die dänische Regierung drohend zu einer Entschuldigung für die Mohammed-Karikaturen drängen, die in der Zeitung „Jyllands-Posten“ erschienen waren.

Wer so agiert, hebt das Thema auf eine völlig neue Ebene. Es geht dann nicht mehr um Islamophobie oder Antisemitismus, sondern um Meinungsfreiheit. Ab dem Moment, als Israels Regierung die Angelegenheit zu einer Staatsaffäre machte, kam es zu einem Schulterschluss in Schweden. Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt und Außenminister Carl Bildt wiesen völlig zu recht darauf hin, dass freie Meinungsäußerung ein unentbehrlicher Bestandteil einer Demokratie sei. Und da hat der Staat nun einmal unabhängigen Medien nicht vorzuschreiben oder zu verbieten, was sie veröffentlichen sollen und was nicht.

Israels Premier Benjamin Netanjahu meinte zuletzt, Schwedens Regierung müsse sich gar nicht entschuldigen. Es reiche, wenn sie den Artikel in „Aftonbladet“ verurteile. Aber auch da sitzt er einem Missverständnis auf. Staatsfunktionären obliegt es nicht, wie Punkterichter die Qualität von Medienbeiträgen zu bewerten.

Als ungeeignet für das Amt eines Außenministers erwies sich einmal mehr Avigdor Lieberman. Er verglich die passive Haltung Schwedens mit dessen Non-Intervention im Zweiten Weltkrieg. Dabei unterschlug er, dass es gerade Schweden wie Wallenberg und Bernadotte waren, die tausenden Juden das Leben gerettet haben.

Der Schaden ist angerichtet, schon kursieren Petitionen für einen Ikea-Boykott. Israels Regierung sollte den Streit nicht mit der schwedischen Regierung, sondern mit der Zeitung selbst ausfechten, und zwar vor einem Gericht. Wobei sich der Unsinn, den Daniel Boström über den angeblichen Organhandel verzapft hat, eigentlich selbst richtet.


christian.ultsch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.08.2009)

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