Mario Andretti: „Jochen Rindt war ein Gentleman“

Die Formel 1 ist wieder in Österreich unterwegs, Lewis Hamilton dreht erste Runden in Spielberg.
Die Formel 1 ist wieder in Österreich unterwegs, Lewis Hamilton dreht erste Runden in Spielberg. (c) REUTERS
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Ex-F1- und Indycar-Champion Mario Andretti verrät, was er von Niki Lauda und Red Bull hält, wer den Spielberg-GP gewinnt – und warum seine Österreich-Bilanz gar so verheerend ist.

Die Presse: Sie sind eine US-Rennsportlegende, wurden aber knapp 160 Kilometer von Österreich entfernt geboren. Was ist passiert, welcher Weg führte damals Ihre Familie nach Amerika?

Mario Andretti: Ich bin in Motovun, Istrien, aufgewachsen. Die Halbinsel gehörte damals zu Italien. Nach dem Krieg wurde das Gebiet von Jugoslawien beansprucht. Heute liegt das Dorf in Kroatien. Man hat uns vor die Wahl gestellt: Italiener bleiben und die Heimat verlassen, oder dort bleiben und sich dem Tito-Regime unterwerfen. Die meisten sind gegangen, wir auch und waren damit sozusagen Flüchtlinge im eigenen Land. Ich war sieben Jahre alt, als wir in die USA ausgewandert sind.

Sie kamen als Rennfahrer in die Region zurück, fuhren auf dem Österreich-Ring Formel 1. Ihre Ergebnisse lesen sich fatal: Kollision in Runde 1, Kupplungsschaden in Runde 1, Fahrfehler in Runde 1, Motorschaden in Runde 7 etc. Hassen Sie diesen Ring?

Ganz im Gegenteil: Ich habe die alte Strecke geliebt. Manche Dinge im Leben kann man eben nicht erklären. Da hat man einfach nur Pech und weiß nicht, wieso. Der Österreichring und Monaco, das waren meine zwei Sargnägel. Beides waren großartige Rennen. Leider habe ich auf keiner der beiden Strecken je gewonnen. Da gab es unzählige Gründe für jedes schlechte Rennen, aber keine Erklärung für diese miese Serie.


1970 sind Sie auch gegen Jochen Rindt gefahren. Welchen Eindruck hat er auf Sie gemacht?

Ich bin 1968 und 1969 paar Rennen für Colin Chapman gefahren und habe Jochen kennengelernt. Er war ein Gentleman, sehr entspannt, selbstbewusst. Und sauschnell, wie wir alle wissen. In Österreich fuhren wir 1970 gegeneinander. Er war der Held der Nation. Im Rennen danach in Monza pausierte ich wieder. Ich war also nicht dabei, als er starb. Eine Tragödie, was da passiert ist.

Haben Sie sich manchmal gefragt, was aus ihm geworden wäre? Rein hypothetisch . . .

. . . er wäre sicherlich vielfacher Weltmeister geworden. Ohne Zweifel. Leider hat unser Sport in diesen Jahren einen fürchterlichen Blutzoll gefordert. Die Leben großer Champions sind viel zu früh erloschen. Männer mit großartigem Talent, herausragende Persönlichkeiten. Ich verstehe mit dem Alter immer mehr, wie unglaublich privilegiert ich bin, das alles überlebt zu haben. Ich habe so viele Kugeln abgefangen, habe so viele gute Freunde verloren. Wenn es wenigstens ein Gutes hat, dass Jochen und viele andere heute nicht mehr hier sind, dann ist es die Tatsache, dass der Sport daraus gelernt hat. Sicherheit steht heute an erster Stelle. Davon profitieren all die Fahrer, die jetzt in Spielberg starten. Jeder!


Sie waren auch einer der größten Rivalen von Niki Lauda. Jeder kennt ihn heute als Experten, Airliner, Mercedes-Chef. Aber wie war er denn als Gegner im Rennauto?

Großartig! Ein korrekter, sehr harter Gegner, hart wie Granit. Was er durchgemacht hat mit dem Feuerunfall und dem Weg zurück zu zwei weiteren Titeln, sagt alles. Ich weiß noch, wie er nach dem Nürburgring-Crash in Fuji gegen Hunt um die WM fuhr. Das Wetter war unbeschreiblich schlecht. Und da steigt der Kerl einfach aus und geht heim. In dem Moment habe ich noch mehr Respekt vor ihm bekommen. Er sagt, was Sache ist. Deswegen ist es super, dass er bei Mercedes ist. Er wird nie zulassen, dass es langweilig wird und man einen der beiden Piloten zur Nummer eins macht. Er wird drauf schauen, dass sie kämpfen müssen.


Die Helden von damals sind in heute auch sehr gute Geschäftsleute. War die Formel 1 denn eine Schule dafür?

Es war eine großartige Zeit und ich schätze mich glücklich, das erlebt und überlebt zu haben. Damals wurde die Formel 1 zum Massenphänomen. Heute wirft man ihr ja vor, dass sie keine Persönlichkeiten mehr produziert – das stimmt nicht! Da sind Burschen mit großartigem Charakter dabei. Wir waren damals halt eine Gründergeneration. Und ein paar echte Schlitzohren waren auch dabei.


Österreichs Formel-1-Geschichte wäre nicht komplett ohne die Erfolge von Red Bull Racing. Geführt von Österreich aus, operativ betrieben in England.

Fantastisch! Wer sich im Rennsport auskennt, den überrascht das nicht. Red Bull hat sehr viel richtig gemacht in all den Jahren. Sie haben bewiesen, dass sie nicht zum Spaß in der Formel 1 sind und haben für alle Positionen die besten Leute geholt. Adrian Newey ist natürlich ein ganz wichtiger Baustein. Sie haben hervorragende Fahrer und geben Mercedes jetzt schön etwas zum Nachdenken.


Was trauen Sie Red Bull beim Spielberg-GP am Sonntag zu?

Alle haben geglaubt, Ferrari wird zum Mercedes-Jäger. Auf einmal gewinnt Verstappen in Barcelona. Unfassbar gut, der junge Mann. Man muss Red Bull gratulieren. Und das zeigt, wie wichtig dieses Toro-Rosso-Team ist, um Talente an die Spitze zu bringen.

Zur Person

Mario Andretti (*28. Februar 1940 in Motovun, Kroatien). Er bestritt zwischen 1968 und 1982 insgesamt 128 Formel-1-GP, gewann zwölf Rennen und wurde 1978 mit Lotus Weltmeister.

In der Gegenwart ist er Berater von Andretti Autosport, Sohn Michael – selbst F1-Veteran – ist Teamchef und Enkel Marco einer der Stammpiloten.

Die PS-Legende ist Schirmherr des F1-Rennens von Austin, Texas.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.06.2016)

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