Sommerspiele ohne Russland – eine Frage der Glaubwürdigkeit

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Die Welt-Antidoping-Agentur (Wada) empfiehlt auf Basis des McLaren-Reports den Olympia-Ausschluss Russlands – das ist die einzig logische Konsequenz.

Der 97 Seiten starke Bericht der Welt-Antidoping-Agentur (Wada) stellt Russland ein verheerendes Zeugnis aus. Dass im Spitzensport gedopt wird, ist kein Geheimnis, doch die Dimension, die dieser Betrug mit Chemie, Genen und manipulierten Tests erreicht hat, ist höchst erschreckend. Es ist längst nicht mehr nur ein patscherter, von falschen Idealen und Kleingeld getriebener Trainer, der in irgendeinem dunklen Container dreist Nadeln setzt und Blutbeutel füllt. Es ist im Fall von Russland, laut dem Bericht des Kanadiers Richard McLaren, ein ganzer Staat. Allerdings – ist selbst diese Tatsache denn noch verwunderlich?

Die russischen Machenschaften, die der online abrufbare McLaren-Report schonungslos offenlegt, lassen weltweit aufhorchen. Manipulierte Proben, konspiratives Mitwirken des FSB-Geheimdienstes, Mitwisserschaft bis in die höchsten politischen Kreise, durch Klotüren getauschte Urintests bei den Winterspielen 2014 in Sotschi, von 2012 bis 2015 643 korrigierte Dopingtests in 30 Sportarten – das hat System. Diese Details entstammen keinem Hollywoodfilm, sondern wurden von einer unabhängigen Kommission festgestellt. Es sind Fakten. Und daher drängt sich eine Frage auf: Worauf wartet das Internationale Olympische Komitee (IOC), was muss noch aufgedeckt werden, um Russland von allen internationalen Bewerben und damit auch für Olympia in Rio de Janeiro (ab 5. August) auszuschließen?

Doping war schon in der DDR von oben „befohlen“. Es gab und gibt immer wieder Stars, die vollgepumpt zu Siegen laufen, von Fans, Medien und Politikern als Helden gefeiert und nicht ertappt werden; Nationalität und Sportart sind beliebig auszutauschen. Es ist Folge der Mittel, Technik, Dosierung oder – wie im Fall der Leichtathletik – nur die Frage nach der Höhe einer Schutzgeldzahlung. Oder anders formuliert: Es war Erpressung. Spitzensport ist nicht mehr nur das Treffen von Asthmatikern, Herzkranken und Rheumapatienten – dieser Rückschluss ist aufgrund der zumeist gefundenen Substanzen zulässig –, sondern ein Kriminalfall und somit ein Rennen vor Gericht.

Das Predigen von Glaubwürdigkeit, Fair Play und Bewahren vermeintlicher Vorbildrollen ist nur noch dann glaubhaft fortzusetzen, wenn Russland von Olympia ausgeschlossen wird. Kollektivstrafe hin, hartes Individualrecht her – selbst mit der traurigen Gewissheit, dass andere Sportler und Nationen unter Garantie dopen. Es genügt nicht mehr, nur einzelne, im Bericht erwähnte Personen zu suspendieren. Selbst die Entlassung von Sportminister Witali Mutko hätte nur noch Symbolcharakter. An dieser Erkenntnis gibt es nach diesem Report kein Umhinkommen mehr.


Tempo und Dringlichkeit sind bei der Entscheidungsfindung zwar gefordert, die Rio-Spiele beginnen ja in knapp drei Wochen. Es gilt allerdings, noch den Spruch der sportlichen Letztinstanz abzuwarten: Das Urteil des Internationalen Sportgerichtshofs (CAS) in der Klage von 68 russischen Leichtathleten nach ihrer Rio-Sperre ergeht am Donnerstag. Es ist zu erwarten, dass diese Aussperrung aufrechtbleibt – und danach richten sich auch alle weiteren Entscheidungen.

1984 blieben die UdSSR und ihre Partner den Spielen in Los Angeles fern, als Retourkutsche für die Boykottspiele in Moskau. 2016 wird kein Russe gewinnen, und manch einer lauert bereits darauf, ob er/sie nicht noch nachträglich eine Medaille von den Spielen 2014 in Sotschi verliehen bekommt. Läutet der Ausschluss eine Zeitenwende im Antidopingkampf ein, bedeutet der Report das Ende der 1992 angehobenen Kommerzialisierung? Wie erklären sich denn die IOC-Granden ihren Sponsoren? Den Veranstalter der Fußball-WM 2018 im Kollektiv ausschließen, ohne Rücksicht auf unbescholtene Sportler?

Es ist ein heikler Strafstoß. Zu erwarten ist, dass das IOC, wie im Fall der Leichtathletik, den Ball volley, pardon: diplomatisch an die 28 Weltverbände der olympischen Sportarten weiterspielt. Sie treffen die Auswahl, verhängen Sperren. Und das IOC, der Veranstalter der Milliardenshow, hat in Brasilien neben Schmutzwasser, Zikavirus, U-Bahn-Bau und Terrorangst ein Problem weniger.

E-Mails an:markku.datler@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.07.2016)

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