Entlassungswelle nach dem gescheiterten Putsch trifft nun auch Mitarbeiter von staatlichen Unternehmen sowie Diplomaten. Regierungsnahe Medien verbreiten, dass neben der Gülen-Bewegung die CIA hinter dem Coup stecke.
Wien/Ankara. Was EU-Vertreter bereits seit über einer Woche gebetsmühlenartig zum Ausdruck bringen, bestätigte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker am Montag erneut: Sollte die Türkei die Todesstrafe wieder einführen, werden die Beitrittsverhandlungen sofort gestoppt. „Ich glaube“, so Juncker im französischen Fernsehen, „die Türkei ist in ihrem jetzigen Zustand und auch für längere Zeit nicht in der Position, Mitglied zu werden.“
Für den türkischen Außenminister, Mevlüt Çavuşoğlu, klangen die Worte wie eine „Drohung“, die er umgehend zurückwies. Überhaupt hat Ankara derzeit alle Mühe, das rigorose Vorgehen im Land gegen Putschisten und andere Widersacher international zu rechtfertigen. In einem Gastkommentar in der „New York Times“ schreibt Ibrahim Kalın – Chefberater und Sprecher des Präsidenten, Recep Tayyip Erdoğans –, mit Blick auf die tausendfachen Entlassungen im Militär- und Staatsapparat: „Ihre Entlassung von öffentlichen Positionen macht die türkische Regierung stärker und transparenter.“
So weist Kalın darauf hin, dass die Behörden zwischenzeitlich 1200 Soldaten wieder freigelassen haben, weil ihnen nichts nachgewiesen werden konnte. Das freilich wird die scharfe Kritik am Vorgehen der AKP-Regierung kaum verstummen lassen. Seit dem gescheiterten Putschversuch am 15. Juli sind mehr als 65.000 Menschen festgenommen, entlassen oder suspendiert worden. Ihnen wird Nähe zu Fethullah Gülen nachgesagt; der Prediger soll hinter dem Putschversuch stehen, er selbst dementiert.
Die „Säuberung“ des Staates von den Gülenisten ist das erklärte Ziel Ankaras, und in diesem Sinne hat die Regierung die neue Woche eingeläutet. Der Festnetzbetreiber Türk Telekom verabschiedete sich von knapp 200 Mitarbeitern, die Turkish Airlines ebenso. Eine Razzia in der Istanbuler Militärakademie endete mit 40 Festnahmen. Aufgetaucht ist auch eine schwarze Liste mit den Namen von 42 Journalisten, die in den nächsten Tagen mit einer Verhaftung rechnen müssen. Auch sie sollen mit Gülen in Verbindung stehen, wiewohl einige der Redakteure eher mit Gülen- und regierungskritischen Texten aufgefallen sind.
Außenminister Çavuşoğlu kündigte darüber hinaus an, sich nun sein Ministerium vorknöpfen zu wollen: Mitarbeiter, die der „parallelen Gang“ angehören sollen, hätten den diplomatischen Dienst infiltriert. Gleichzeitig weitet Ankara die Suche nach den Gülenisten international aus: Er, Çavuşoğlu, habe sich bereits an Länder wie Aserbaidschan und Kirgisistan gewandt. Tatsächlich wird Gülen ein weltweit verzweigtes Netz an Schulen und Instituten zugeschrieben, so auch in Zentral- und Vorderasien. Gülens größtes Schulnetz jedoch soll Experten zufolge in den USA existieren. Für Ankara ein besonderes Ärgernis, da sich die USA seit dem Putschversuch – trotz Solidaritätsbekundungen – reserviert zeigen. Der Prediger lebt seit zwei Jahrzehnten im US-Bundesstaat Pennsylvania, einer Auslieferung an die Türkei wird Washington nicht ohne Beweise zustimmen.
„Geheimtreffen“ des Generals
So hat laut regierungsnahen Medien eine US-kritische Berichterstattung Einzug gehalten. Zudem schreibt die regierungstreue „Yeni Şafak“, dass die CIA selbst hinter dem Putsch stecken soll, in Gestalt des pensionierten US-Generals John F. Campbell, der einst die Nato-Truppen in Afghanistan befehligt hat. Noch immer als Nato-Berater tätig, war Campbell kurze Zeit vor dem Putsch für Beratungen in der Türkei – „Geheimtreffen“, wie die Zeitung deutet. Man habe schwarze Konten in Nigeria entdeckt, die den Putsch finanzieren sollten, heißt es weiter. Unter den Begünstigten würden sich auch Mitglieder der linken prokurdischen Partei HDP befinden.
Die HDP selbst hat den Putschversuch scharf verurteilt, aber auch das anschließende harte Durchgreifen der Regierung. Ohnehin würde Erdoğans AKP die HDP wohl gern aufgelöst sehen. Bei einem Treffen mit Oppositionsvertretern am Montag war die HDP denn auch nicht eingeladen. Bei dem Gespräch ging es um die gemeinsame Haltung zum Putschversuch.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.07.2016)