Viel versprochen – wenig gehalten

(c) EPA (Matthew Cavanaugh)
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REFORM. Im Zuge des Lehman-Schocks haben die Staaten weltweit neue Spielregeln für die Finanzbranche und strengere Kontrollen angekündigt. „Die Presse“ zieht eine etwas ernüchternde Zwischenbilanz, die zeigt, wie wenig bislang umgesetzt wurde.

Wien/New York. Nach der Pleite von Lehman Brothers haben die Regierungen weltweit einen Umbau des Finanzsystems in Aussicht gestellt. Vergangenen November versprachen die Staatschefs der 20 führenden Industrienationen (G20) bei einem Krisengipfel in Washington ein „lückenloses Überwachungsnetz“ für die Finanzmärkte. Künftig sollen „alle Börsen, Produkte und Akteure reguliert oder überwacht werden“, hieß es in der Erklärung. Doch die meisten Vorhaben sind im Sand verlaufen. Denn die Finanzkrise hat ihren Schrecken verloren.

Die Aktienmärkte erholten sich schnell, viele Banken erzielten im ersten Halbjahr 2009 mit dem Handel von Wertpapieren wieder Milliardengewinne. Beim G20-Treffen am 24. und 25. September in Pittsburgh soll ein neuer Anlauf für strengere Regeln unternommen werden. Doch die Erfolgsaussichten sind gering. Mit der Rückkehr zur wirtschaftlichen Normalität schwindet der Reformdruck.
Hedgefonds: Die EU hat eine staatliche Aufsicht für Hedgefonds vorgeschlagen. Weiters sollte es Offenlegungspflichten gegenüber den Behörden, Investoren und der Öffentlichkeit geben. Auch die Hebelwirkung des eingesetzten Fremdkapitals (Leverage) sollte begrenzt werden. Um dies zu verhindern, schlossen sich die größten Hedgefonds zu einer Lobbyinggruppe zusammen. Den Fonds ist es gelungen, der geplanten Regulierung die Giftzähne zu nehmen. Unterstützt wurden sie von der britischen Regierung– die meisten europäischen Hedgefonds werden von London aus gemanagt.

Zocken im Dunkeln

Hochkomplexe Finanzprodukte: Britische und amerikanische Banken haben wieder damit begonnen, Kredite zu bündeln und an Investoren zu verkaufen. Diese Vehikel – im Fachjargon „Collateralized Loan Obligations“ (CLOs) – werden von Ratingagenturen benotet. Banken können damit ihren Eigenkapitalbedarf um zehn bis 15 Prozent senken. Die Aufsichten in den USA und Großbritannien sind dagegen nicht eingeschritten, obwohl ähnliche Produkte die Krise ausgelöst haben. Auch die sogenannten „Dark Pools“ boomen. Dabei handelt es sich um alternative Börsenplattformen, bei denen institutionelle Investoren wie Hedgefonds und Banken anonym mit Wertpapieren handeln können.
Ratingagenturen: Bei der von den USA und der EU angekündigten Kontrolle von Ratingagenturen hat sich bisher nichts getan. Den Bonitätswächtern wird vorgeworfen, Finanzprodukte, die eigentlich längst wertlos sind, zu gut eingestuft zu haben. Lehman Brothers etwa verfügte kurz vor dem Zusammenbruch über Topratings.

Es gibt drei große Bewertungsfirmen: Moody's, Standard&Poor's sowie Fitch (als einzige europäische Agentur). Kritiker werfen ihnen vor, den Markt unter sich aufzuteilen. Ein weiteres Problem sind Interessenkonflikte, weil die beurteilten Firmen meistens für die abgegebenen Ratings zahlen – daher wird die Objektivität der Einstufungen in Zweifel gezogen.

Politiker fordern den Aufbau neuer europäischer Ratingagenturen. Doch es fehlt an konkreten Schritten in diese Richtung.
Reform der Aufsicht: Auf Druck der EU müssen die nationalen Finanzaufsichten enger zusammenarbeiten. Es wurden dazu viele neue Gremien geschaffen. Doch der Plan einer europäischen Superaufsicht ist gescheitert.
Strengere Vorschriften für Banken: Im Herbst wollte die EU-Kommission eine Richtlinie über die Eigenkapitalvorschriften für Banken vorlegen. Doch das Projekt wurde nach massivem Widerstand der Kreditwirtschaft auf 2010 verschoben. Kritiker befürchten, dass das Vorhaben zur Gänze ad acta gelegt wird. Die Behörden in Brüssel planten, bei den Banken eine Obergrenze für Schulden einzuführen.

Vor der Finanzkrise gab es Institute, die mit einem Geschäftsvolumen arbeiteten, das 50- bis 60-mal so hoch war wie ihre Eigenkapitalausstattung. Die Schweiz hat dieses Problem erkannt und drastische Limits angekündigt. So sollen die Ausleihungen bei den Schweizer Banken nur noch 20-mal so hoch sein wie das Eigenkapital.

Nicht jede Steueroase ist ausgetrocknet

Steueroasen: Erfolgreich war die internationale Staatengemeinschaft bei der Bekämpfung von Steueroasen. Auf internationalen Druck mussten viele Länder wie Österreich, die Schweiz und Liechtenstein das Bankgeheimnis für Ausländer lockern. Seitdem laufen den Banken (etwa in Liechtenstein) die Kunden davon. Und die Cayman Islands, eines der größten Offshore-Zentren, stehen vor der Pleite. Aber nicht alle Steueroasen sind ausgetrocknet. Im US-Bundesstaat Delaware können weiterhin fragwürdige Steuermodelle angeboten werden. Und über die Finanzplätze Hongkong und Macao hält China die schützende Hand.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.09.2009)

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