„Wir bereiten den Weg für die nächste Krise“

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INTERVIEW. Leo Hindery, Berater der US-Regierung, denkt, dass die Banken zu viel Freiraum haben und Barack Obama zu wenig gegen die Arbeitslosigkeit tut.

„Die Presse“: Als Lehman Brothers Bankrott machte, stand Barack Obama mitten im Wahlkampf. Sie waren einer seiner Wirtschaftsberater. Was ging Ihnen durch den Kopf?

Leo Hindery: Eine Tragödie. Das war das schlimmste wirtschaftliche Ereignis für die USA seit Jahrzehnten. Mir war schon damals klar, dass dieser Bankrott jeden Amerikaner bitter treffen wird.

War es also eine Fehlentscheidung der Regierung, Lehman nicht zu retten?

Hindery: Nein, im Gegenteil. So dramatisch die Konsequenzen auch waren, so wichtig war es, ein Zeichen zu setzten. Lehman hat es verdient, nicht gerettet zu werden. Es musste klargemacht werden, dass die Regierung nicht für unverschämt übernommene Risken der Banken die Verantwortung übernehmen kann.

Bei anderen Banken wie Citigroup hat sie das aber getan.

Hindery: Ja, sonst wäre die Wirtschaft wohl kollabiert. Bei Lehman hatte ich diesbezüglich wenig Angst. Aber hätte man Citigroup oder Bank of America bankrott gehen lassen, hätte das das Ende Amerikas, wie wir es kennen, bedeutet.

Also haben die Regierung und die Notenbank Fed alles richtig gemacht?

Hindery: Ganz und gar nicht. Man hätte die Rettung der Banken mit öffentlichem Geld viel stärker an Bedingungen knüpfen müssen. Nun haben wir zwar vorerst das Gröbste überstanden, aber gleichzeitig bereiten wir den Weg für die nächste Krise. An den Praktiken der Banken hat sich nichts geändert. Sie schreiben Gewinne wie eh und je, obwohl wir noch nicht einmal aus der Rezession heraußen sind.

Was ist daran schlecht, wenn Banken hohe Gewinne schreiben?

Hindery: Es ist die Art und Weise, wie die Gewinne erzielt werden, nämlich nicht durch herkömmliche Geschäfte, wie etwa die Kreditvergabe, sondern ausschließlich durch das Spekulieren mit Aktien und Optionen.

Spekulieren ist doch nur die Wette auf künftige Kursentwicklungen. Warum sollen Institute nicht belohnt werden, wenn sie beispielsweise Aktienoptionen eines erfolgreichen Unternehmens erworben haben?

Hindery: Daran ist grundsätzlich gar nichts auszusetzen. Das Problem ist, dass die Banken genauso wie früher mit Geld spekulieren, das ihnen nicht gehört. Wenn der Schuss nach hinten losgeht und mehrere Institute gleichzeitig fremdes Geld verlieren, sind wir da, wo wir vor einem Jahr waren. Oder sogar in einer noch schlimmeren Situation. Die Regierung hat es verabsäumt, die Banken zu höheren Mindestreserven zu verpflichten und das Fremdkapital, mit dem spekuliert werden darf, zu reduzieren.

Sie sind Demokrat und einer der Wirtschaftsberater von Barack Obama. Haben Sie das dem Präsidenten nicht gesagt?

Hindery: Doch. Aber der Regierung war es viel wichtiger, den Finanzsektor möglichst schnell wieder in Schwung zu kriegen, damit die Bevölkerung wieder Vertrauen in die Wirtschaft gewinnt.

Das hat ja nicht so schlecht funktioniert. Die Wirtschaft dürfte im zweiten Halbjahr wieder wachsen. Ein Ende der Rezession ist absehbar.

Hindery: Ja, aber das ist ausschließlich dem Finanzsektor und den erwähnten Risken zu verdanken. Die Industrie, die Kleinbetriebe und die gesamte Bevölkerung außerhalb des Finanzsektors haben nach wie vor riesige Probleme. Die Statistik sagt, die Rezession ist vorbei – nur spürt keiner etwas davon. Die Arbeitslosigkeit ist in Wahrheit viel höher als die angegebenen 9,7 Prozent und sie wird noch weiter steigen.

Wie das?

Hindery: Diese Zahl beinhaltet jene, die aus Frust die Arbeitssuche aufgegeben haben, nicht. Zählt man diese Menschen dazu, sind wir schon deutlich über zehn Prozent. Außerdem sind jene, die Teilzeit arbeiten, obwohl sie gerne Vollzeit arbeiten würden, nicht in der Arbeitslosenstatistik inkludiert. Zählt man diese Leute auch noch dazu, sind 20 Prozent der Amerikaner vom Phänomen Arbeitslosigkeit betroffen.

Und wenn die Regierung die Banken stärker reglementiert, würde das besser werden?

Hindery: Ja, man müsste die nun zum Teil verstaatlichten Banken zwingen, mehr Kredite an die Industrie und das Gewerbe zu vergeben. Das würde die Wirtschaft viel nachhaltiger ankurbeln als der bloße Aktienhandel. Vielen Industriebetrieben fehlt wegen der Engpässe bei der Kreditvergabe im Moment ganz einfach das Kapital.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.09.2009)

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