Gülen und PKK: Vereinte Feinde?

U.S. based cleric Fethullah Gulen at his home in Saylorsburg, Pennsylvania
U.S. based cleric Fethullah Gulen at his home in Saylorsburg, Pennsylvania(c) REUTERS (CHARLES MOSTOLLER)
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Medien berichten, dass sich Putschisten in die Kurdenhochburg Qandil im Irak abgesetzt haben. Die Anhänger Gülens und die PKK werden zu einem Feindbild vermischt.

Wien/Ankara. Der Schock innerhalb der türkischen Gesellschaft nach dem gescheiterten Putsch Mitte Juli klingt langsam ab. Die Versammlungen an prominenten Plätzen quer durch das Land – „Demokratie-Wachen“ – sollen diese Woche ein Ende finden, so Präsident Recep Tayyip Erdoğan, der zu diesen Kundgebungen aufgerufen hatte. Die Versammlungen waren für seine Anhänger nur eine Aktivität von vielen, um ihre Unterstützung für die Zerschlagung des Gülen-Netzwerkes kundzutun; hinter dem Putsch vermutet die regierende AKP die konspirativ agierende Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen.

So ist in regierungsnahen Medien derzeit oft zu lesen, für welche illegalen und terroristischen Aktivitäten Gülen (im Nachhinein) verantwortlich gemacht wird – etwa für das Grubenunglück in Soma vor zwei Jahren. Damals starben nach einem Brand im Braunkohlebergwerk mehr als 300 Arbeiter. In sozialen Netzwerken posteten User nun, dass das Unglück eine Gülen-Sabotage gewesen sei, während die linke Tageszeitung „BirGün“ herausfand, dass hinter ebendiesen Usern die Jugendbewegung der AKP stecke.

Nun ist auch öfter von einer Zusammenarbeit zwischen der verbotenen kurdischen Untergrundorganisation PKK und der Gülen-Bewegung zu lesen. Berichten zufolge sollen sich 60 mutmaßliche Gülen-Putschisten, davon drei Generäle, ins irakische Qandil-Gebirge abgesetzt haben Dort befindet sich das Hauptquartier der PKK. Demnach würden die 60 Militärangehörigen davon ausgehen, dass sie die PKK nicht an Ankara ausliefert; zudem sollen sie ohnehin den Plan haben, mit falschen Pässen nach Europa zu gelangen. Das Gerücht einer möglichen kurdischen Beteiligung am Putsch tauchte bereits kurz nach der fraglichen Nacht auf, da mehrere F-16-Jets offenbar vom Stützpunkt in der Kurdenhochburg Diyarbakır aus starteten. Die Gülenisten seien auch der Grund, wird ein anonymer Geheimdienstmitarbeiter in Zeitungen zitiert, warum die Spitze der PKK durch türkische Bombardements bisher nicht ausgeschaltet werden konnte: Ein General sei Anhänger Gülens gewesen und hätte die Kurden vor den Einsätzen gewarnt.

Kein säkularer Islam

Die prokurdische Partei HDP hat den Putschversuch, wie alle großen Oppositionsparteien auch, verurteilt. Sie übt aber scharfe Kritik an den Massenentlassungen und -verhaftungen, die seither das Tagesgeschehen dominieren. Für mehrere Post-Putsch-Gespräche mit der Opposition hat Erdoğan die HDP nicht eingeladen: „Ich kann nicht zwischen Putsch und Terrororganisation unterscheiden“, so der Präsident.

Die PKK ist bisher nicht mit einer Gülen-freundlichen Haltung aufgefallen, im Gegenteil. Die marxistische Untergrundorganisation hat den Einfluss des islamischen Netzwerkes zurückzudrängen versucht, es gab Anschläge mit Molotowcocktails auf Gülen-Institutionen. Beide haben im krisengeschüttelten Südosten rekrutiert und standen einander gewissermaßen im Weg dabei. Die PKK wollte bewaffnen, die Gülenisten islamisieren. Ungewohnt freimütig ist auf der englischsprachigen Webseite des Netzwerks zu lesen, dass die PKK die Einführung der Scharia nicht ertragen könne, und genau dafür kämpfe aber die Gülen-Bewegung.

Fethullah Gülen selbst hat sich mehrmals nach PKK-Anschlägen zu Wort gemeldet. Es sei eine Schande, so Gülen in der Vergangenheit, dass das Militär nicht mit den „Banditen in den Bergen“ fertigwerde. Für die Konfliktlösung könne nur das Leben des Propheten Mohammed als Vorbild dienen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.08.2016)

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