Alt-Wien-Kindergärten: „Wir bleiben bis zum Schluss“

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Themenbild(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Nach Förderskandal und Konkurs der Alt-Wien-Kindergärten hoffen viele Eltern weiter auf den Fortbestand der Einrichtungen. Von der Stadt Wien sind sie enttäuscht.

Wo sind meine Freunde?“ fragt der fünfjährige Bub seine Mutter manchmal. „Ich möchte, dass meine Freunde wieder kommen.“ Denn im privaten Alt-Wien-Kindergarten der beiden Söhne von Dorli Pascu-Cumpf im vierten Bezirk ist es ruhig geworden: Nur noch fünf Kinder besuchen ihn, die meisten Eltern haben für ihre Töchter und Söhne andere Plätze gefunden. Zu unsicher war – und ist – die Zukunft der Alt-Wien-Kindergärten.

Seit Ende Juli bekannt wurde, dass der Vereinsverantwortliche, Richard Wenzel, 6,6 Millionen Euro an Fördergeldern der Stadt Wien zweckentfremdet haben soll, ist unklar, wie es mit den ursprünglich 33 Kindergärten und Horten, in denen der Verein wienweit 2276 Kinder betreut hat, weitergehen wird. Da die Stadt die Subvention eingestellt hat und die Fördergelder zurückfordert, wurde Ende August das Konkursverfahren über den Verein Alt-Wien eröffnet.

Viele Eltern haben mittlerweile ihre Kinder anderweitig untergebracht. Pascu-Cumpf nicht. „Wir hoffen immer noch, dass er offen bleiben wird. Wir bleiben bis zum Schluss“, sagt sie. Die Mutter fühlt sich dem Kindergarten sehr verbunden: Wegen einer Krankheit musste sie mehrmals ins Spital, „ohne die Unterstützung der Pädagoginnen hätten wir das alles nicht geschafft“, sagt sie. „Der Kindergarten ist wie eine kleine Familie für uns geworden.“

Für die Eltern und ihre Kinder ist die Situation sehr belastend. Ständig müssen sie damit rechnen, dass der Kindergarten plötzlich nicht mehr aufsperrt. Wochen voller Warten und Bangen. Wochen, in denen Fristen verstrichen sind, Vergleichsangebote durch die Stadt abgelehnt wurden. Für die kommende Woche ist der Betrieb von 28 Standorten gesichert, vorläufig: Masseverwalter Philipp Dobner und die Stadt haben sich auf eine Finanzspritze geeinigt, mit der die Mitarbeiter weiterbezahlt werden können. Ein paar Tage Sicherheit. Wie es danach weitergeht, kann Dobner nicht sagen. „Aber nächste Woche muss kein Kind auf der Straße stehen.“

Viele Familien bleiben freilich auch, weil sie gar nicht anders können. Für eine Mutter aus dem 22. Bezirk, die anonym bleiben will, ist die Situation besonders schwierig: Werden doch alle ihre drei Kinder an einem Alt-Wien-Standort betreut – das älteste im Hort, das mittlere im Kindergarten und das jüngste soll nun in der Krippe beginnen, damit sie wieder in die Arbeit gehen kann. „Es ist völlig unklar, ob ich meine Arbeit wie geplant wieder beginnen kann.“ Ihre Kinder in drei unterschiedlichen Einrichtungen unterzubringen, kommt für sie nicht infrage: „Da wäre ich den halben Vormittag nur unterwegs, um die Kinder hinzubringen.“ Von der für die Kinder schwierigen Gewöhnung an neue Betreuer ganz zu schweigen. Wie viele andere Eltern auch, ist sie mit ihrem Kindergarten – in dem nur noch 15 statt bisher über 100 Kinder betreut werden – voll zufrieden.

Dem einstigen Betreiber Wenzel macht sie keine Vorwürfe: „Er hat mehrfach versucht, die Situation zu retten, aber nichts wurde von der Stadt akzeptiert. Ich bin sehr enttäuscht davon, wie das bisher abgewickelt wurde.“ Auch Pascu-Cumpf übt Kritik. „Ich finde das Vorgehen der Stadt rücksichtlos. Die Kinder können nichts dafür.“

Für ihren älteren Sohn hätte sie, sollte der Standort schließen, einen Ersatzplatz, da er sich im verpflichtenden letzten Kindergartenjahr befindet. Für ihren jüngeren Sohn nicht. Astrid Schwarz – die Elternsprecherin der Alt-Wien-Kindergärten, wenn man so will, die andere Eltern über eine Facebook-Gruppe informiert – weiß von mehreren Fällen, in denen Kinder nicht in einem städtischen Kindergarten untergekommen sind. Wenn etwa ein Elternteil mit einem jüngeren Kind daheim ist (oder keinen Arbeitsnachweis vorlegen kann), erhält das ältere Kind oft keinen Platz. Tenor: Die Mutter (oder der Vater) ist eh daheim.

Viele suchen daher bei privaten Kindergartenträgern, doch die führen nicht selten lange Wartelisten. Für ihre Tochter, die derzeit in einen Alt-Wien-Standort im 14. Bezirk geht, gebe es einen privaten Platz – allerdings erst 2018. Schneller, ab November, hat Schwarz einen Platz in einer städtischen Einrichtung bekommen. Den ersten Platz, der ihr von der Stadt angeboten wurde, hat sie abgelehnt – er war zu weit weg vom Wohnort entfernt.


Verhandlungen. Wie viele Kinder noch in die Alt-Wien-Kindergärten gehen, kann Masseverwalter Dobner nicht genau sagen – erschwert wird ihm seine Arbeit dadurch, dass alle Unterlagen bei der Staatsanwaltschaft liegen, die gegen den Betreiber ermittelt. Vergangene Woche besuchten 438 Kinder die Alt-Wien-Einrichtungen, angemeldet seien noch 995. Die tatsächliche Zahl liege irgendwo dazwischen.

Ab morgen, Montag, werden fünf Standorte geschlossen, weil es dort zu wenige Kinder gibt. Die übrigen rund 40 Kinder wurden auf andere Gruppen aufgeteilt. Dobner kann nicht ausschließen, dass weitere Standorte zusammengelegt werden. „Ich muss rasch umstrukturieren, ich kann mir den Personalstand nicht leisten.“ Die Kosten für den monatlichen Betrieb belaufen sich auf eine Million Euro, 85 Prozent davon machen Personalkosten aus. Mit 31. August waren 297 Mitarbeiter bei Alt-Wien gemeldet. Aktuell seien es 235.

Wie es weitergeht und wann eine Entscheidung getroffen wird, kann Dobner nicht sagen. Er verhandelt derzeit mit mehreren potenziellen Trägern. Der Gläubigerausschuss und Dobner selbst favorisieren eine Gesamtlösung.

Wie alle Eltern hofft auch Astrid Schwarz, dass die Alt-Wien-Kindergärten nicht schließen müssen und vor allem, dass die Betreuerinnen weiter dort arbeiten. Schon ihre beiden Söhne haben den Alt-Wien-Kindergarten im Vierzehnten besucht. „Das ist wirklich ein sensationelles Preis-Leistungs-Verhältnis. Die Buben waren so gut vorbereitet auf die Schule.“ Ob sie das von ihrer kleinen Tochter auch einmal sagen kann, weiß sie heute noch nicht.

Zahlen

6,6Mio. Euro an Fördergeldern der Stadt Wien soll Richard Wenzel als Vorsitzender des Vereins Alt-Wien zweckentfremdet haben.

2276Kinder und deren Familien waren von der möglichen Schließung der Alt-Wien-Standorte betroffen. Ein großer Teil der Familien hat mittlerweile einen anderen Betreuungsplatz gefunden, etwa 500 sind in städtischen Kindergärten untergekommen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.09.2016)

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