Nach der Katastrophe durch Hurrikan Matthew kämpfen die Opfer um ihr Überleben: Eine Cholera-Epidemie droht, die Menschen stehen vor den Trümmern ihrer Existenz.
Wien/Port-au-Prince. Als Hurrikan Matthew vergangenen Dienstag mit 233 Kilometern pro Stunde über die Südwestspitze Haitis hinwegfegte, hinterließ er ein Bild der Zerstörung: zertrümmerte Häuser, Palmen, wie abgeknickte Streichhölzer über das Land verteilt, überflutete Straßen und Felder. Mindestens 1000 Menschenleben forderte der stärkste Wirbelsturm in der Karibik seit einem Jahrzehnt, schätzen lokale Behörden. Etwa 80 Prozent der Häuser seien zerstört worden, sagt Robert Moosbrugger, Caritas-Beauftragter für Haiti, der „Presse“. Er half bereits bei dem verheerenden Erdbeben 2010 mit 220.000 Toten. Besonders betroffen ist die Küstenstadt Jérémie. „Die Lage ist dramatischer als befürchtet.“
Denn eine Woche nach der Katastrophe beginnt für die Bevölkerung der Überlebenskampf aufs Neue. Im ärmsten Land Lateinamerikas sind laut UNO nun 1,4 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen. Es fehlt an allem: an Trinkwasser, Nahrungsmitteln, Unterkünften und Strom. Auch die Telefonleitungen seien noch nicht intakt, berichtet der 41-Jährige. Viele Verwandte machen sich daher auf den Weg in die verwüsteten Gebiete: Sie wissen nicht, wie es ihren Angehörigen geht. Auch zerstörte der Sturm eine wichtige Brücke auf der Verbindungsstraße zu den betroffenen Gebieten. Zumindest der Fluss ist wieder passierbar, doch Hilfslieferungen werden dadurch erschwert.
Seit Sonntag gibt es zudem erste Berichte von Cholera-Toten. Die Darmkrankheit, die sich über verseuchtes Trinkwasser verbreitet, kann unbehandelt tödlich sein. Vielen Bewohnern in abgeschnittenen Gebieten bleibt jedoch nichts anderes übrig, als durch verwesende Leichen kontaminiertes Wasser zu trinken. Die Behörden begannen bereits, die Toten in Massengräbern zu beerdigen. Die Angst vor einer Cholera-Epidemie, wie nach dem Beben vor sechs Jahren, ist groß: Nepalesische UN-Soldaten hatten die Infektion eingeschleppt, Tausende Menschen starben.
Kurzfristig sei daher Nothilfe besonders wichtig, meint Moosbrugger. Am heutigen Dienstag werde die Caritas einen Lkw mit Hygienematerial und Lebensmitteln für 1000 Familien nach Les Cayes an der Südküste transportieren, auch Wasserreinigungstabletten werden geliefert. Selbst nach einer erfolgreichen Nothilfe bleibe aber eine große Herausforderung: eine Lebensgrundlage für die Opfer zu schaffen. Die Sturmfluten spülten Ziegen, Schweine und Hühner fort, zerstörten Felder und Plantagen. So wurden nicht nur wertvolle Nahrungsquellen zerstört, auch Jobs sind Mangelware. Hinzu komme die zertrümmerte Infrastruktur.
Katastrophen zermürben das Land
„Es wird sehr lange dauern, bis die Menschen wieder ein geregeltes Leben führen können. Für den Wiederaufbau bräuchte es Budgets in Millionenhöhe“, meint der Helfer. Doch er zweifelt an der internationalen Zahlungsbereitschaft: Die Aufmerksamkeit der Weltgemeinschaft sei derzeit auf andere Krisenherde gerichtet, schon nach dem Erdbeben habe es an Spenden gefehlt. Die Hurrikanregion blieb damals zwar weitgehend verschont, doch die Haitianer litten unter den wiederkehrenden Katastrophen, sagt Moosbrugger – zumal die Bevölkerung sie nicht selbst verschuldet habe.
„Zwischendurch kommt die politische Instabilität hinzu“, meint er. Ein Streit zwischen Regierung und Opposition lähmt das Land. Zum zweiten Mal mussten am Sonntag die Präsidentschaftswahlen auf unbestimmte Zeit verschoben werden. Diese Unsicherheit sei ein weiteres Hemmnis für langfristige Aufbauarbeiten.
Helfen Sie mit einer Spende.
- Caritas-Spendenkonten – PSK IBAN: AT92 6000 0000 0770 0004, BIC: OPSKATWW
- Erste Bank IBAN: AT23 2011 1000 0123 4560, BIC: GIBAATWWXXX
("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.10.2016)