Guca: Das Fest des Schweins und der Trompeten

(c) Die Presse (Helmar Dumbs)
  • Drucken

Einmal im Jahr machen mehr als 1000 Musiker und hunderttausende Gäste ein verschlafenes Dorf im Südwesten Serbiens zum Zentrum des unverfälschten Balkan-Brass. Immer mehr Ausländer finden Geschmack daran.

Es ist immer das Gleiche: Je unschuldiger der Blick, desto größer die Wahrscheinlichkeit, vom Flughafenzöllner herausgepickt zu werden, egal, ob daheim in Wien oder hier in Belgrad. Diesmal muss mein Blick wieder sehr unschuldig gewesen sein. Nicht, dass in der ramponierten Reisetasche Schmuggelgut gewesen wäre – aber serbische Zollkontrollen können lästig ausfallen. Was man denn in seinem schönen Land zu tun gedenke, fragte der Beamte gar nicht unfreundlich. Die wahrheitsgemäße Antwort bestand aus vier Buchstaben: G u ? a. Kaum hatte der Zöllner realisiert, dass sein Opfer extra wegen des mittlerweile weltbekannten Trompetenfestivals eingeflogen kam, ließ er auch schon von ihm ab und wünschte nur mehr schönen Aufenthalt. Gu?a – ein Zauberwort.

1961 trafen sich in dem Ort im südwestserbischen Himbeerland erstmals ein paar lokale Brassbands und maßen sich in der Produktion des ortsüblichen Lärms, jener heute auch in Westeuropa so beliebten Mischung aus elegisch-melancholischen Liedern und balkanisch-furiosen Rhythmen.

Den KP-Funktionären war das wie jede volkskulturelle Regung verdächtig, aber diese Musik ist in der Region derart verwurzelt, dass man dagegen nicht ankönnen wollte. Die KP hat heute nichts mehr zu sagen, und in Gu?a eilt man von Rekordjahr zu Rekordjahr, auch wenn die offiziellen Besucherzahlen ungefähr so verlässlich sind wie die vom Maiaufmarsch der Wiener SPÖ.

Von den Hunderttausenden ist Mittwochnacht freilich noch keine Spur. Das Festival hat ja auch gerade erst begonnen, und noch reicht ein lässiges „Wir sind Journalisten aus Wien und müssen unser Equipment reinbringen!“, um an der Polizeisperre vorbei in den 3000-Seelen-Ort einfahren zu können. Am nächsten Tag bereits wird alles Betteln nichts mehr helfen.

Weniger Nationalisten

Kaum entsteigt man dem Auto, begrüßt einen Gu?a schon mit zwei Überraschungen: viele Gittermüllcontainer – und viel Polizei. Das Festival will also in jeder Hinsicht sauberer werden, als es sein Ruf bisher war. In den Augen der schicken Belgrader City versammelte sich hier in Zentralserbien jedes Jahr das rückständige, nationalistische Serbien zu hemmungslosem Bier- und Schnapskonsum, Grillfleischorgien und Schlägereien inbegriffen, Musik Nebensache. Ganz falsch ist das zwar nicht, ganz richtig aber schon gar nicht.

T-Shirts mit dem Konterfei gesuchter Kriegsverbrecher gibt es zwar noch immer (im Gegensatz zu einem behördlichen Verkaufsverbot), aber man findet heute deutlich weniger Hardcorenationalisten als vor drei Jahren, die das Zeug auch tatsächlich tragen.

Und mit ihrer sichtbaren Präsenz will die Polizei die alkoholinduzierte Gewalt eindämmen. Als die Ordnungshüter schließlich um drei Uhr in den Lokalen den akustischen und den prozentigen Saft abdrehen lassen, wird die Überraschung darüber eigentlich nur mehr dadurch übertroffen, dass die Sperrstunde tatsächlich eingehalten wird.

Wer sich dem Festival in voller Länge aussetzt, erlebt über mehrere Tage ein gigantisches Crescendo, nicht nur akustisch: Wo am Mittwoch noch leichtes Durchkommen ist, steckt man am Samstag hoffnungslos in einem wabernden Wesen aus Schweiß und Alkohol ausdünstenden Körpern fest. Auch auf den Spanferkelgrillöfen scheint es immer enger zu werden. Nein, Gu?a ist kein gutes Pflaster für Säue. Das Bombardement mit Gegrilltem, das von allen Seiten auf einen einströmt und das Dorf unter einer gigantischen Dunstglocke verschwinden lässt, löst auf Dauer allerdings Fluchtreflexe hin zum rettenden Palatschinkenstand aus.

Kein akustisches Niemandsland

Doch die Attacke auf den Magen ist nichts im Vergleich zu dem Härtetest für die Ohren. An allen Ecken und Enden blasen sich die Roma-Brass-Bands (die „weißen“, also die slawischen Serben, spielen vor allem im Wettbewerb, weniger auf der Straße) die Seele aus dem Leib, und wo nicht, dröhnt, es gleich doppelt so laut aus den Lautsprechern – auf dass es keinen Millimeter akustischen Niemandslands gebe. Haben die Musiker einen zahlungskräftigen Tisch ausgespäht, gibt es kein Halten mehr – von beiden Seiten. Oft sind es größere Euroscheine, die den Musikern an die Stirn gepickt, in die Stürze gestopft oder sonst wie verabreicht werden, und sie bedanken sich mit noch mehr Ekstase und Lautstärke. Mit Worten kann dieses akustische Inferno kaum beschrieben werden, höchstens seine Wirkung: Es versetzt tatsächlich in eine euphorische Hochstimmung, und zwar auch ohne unmäßigen Alkoholeinsatz.

Russische Pathoskiste

Und es enthemmt sichtlich: Auf dem Weg zum großen Bio-WC (die echten sind um diese Zeit kaum noch zumutbar) wird man eines Pärchens ansichtig, das sich auf einer – wegen der fortgeschrittenen Stunde schon verlassenen – Ebene des großen Terrassenrestaurants ungeniert liebt. Wenig später kommen die Kellner dazu und fordern Maut: „You have to pay for the fucking.“

Ja, Gu?a ist eben international. Auch bei den Bands. Sie dürfen zwar nicht beim Wettbewerb antreten, aber es kommen von Jahr zu Jahr immer mehr ausländische Gruppen, freut sich auch der serbische Startrompeter Ekrem Mamutovi?, dessen Truppe heuer als beste Band ausgezeichnet wurde.

Zum Beispiel die Jazzer von der US-Navy, mit denen Mamutovi? und seine Mannen gerade gejammt haben. Deren Chef Duke Stubble ist nach dem 20-minütigen Marathon dem Kollaps nahe, japst nur mehr ein „Es war einfach fantastisch“ heraus und verdreht dabei beglückt die Augen, als käme er gerade aus einer paradiesischen Parallelwelt. Nachdem er sich wieder ein wenig gefangen hat, zitiert er brav Miles Davis. Der war auch einmal in Gu?a und hatte damals zugeben müssen: „Ich wusste nicht, dass man so Trompete spielen kann.“ Ob Stubble als Nachwirkung der Nato-Bombardements vor zehn Jahren denn in Serbien Ressentiments gespürt habe? Achtung, politische Frage, Auszeit. Der US-Gast muss erst bei seiner serbischen Pressebetreuerin nachfragen, ob er so etwas denn beantworten dürfe. Sie ist großzügig, er bedankt sich mit einem artigen „Nein“.

Politik wollen die Veranstalter draußen halten, sagen sie. Zumindest da, wo sie es verhindern können. Denn dass die serbischen Politiker aller Couleur sich gerne im Glanz der Trompeten von Gu?a sonnen, ist unvermeidlich. Und wichtigen Gästen will man auch nicht den Mund verbieten. Dem russischen Botschafter etwa, der zu einer der täglichen Pressekonferenzen geladen wurde und sogleich tief in die Pathoskiste griff: „Russland wird mit jedem Tag stärker, und das russische Volk glaubt fest daran. Deswegen verstehen wir, wie schwer es für euch ist und helfen euch, wo wir können.“ Wovon redet der Mann da? Sicher nicht davon, dass es dank des letzten russisch-ukrainischen Gasstreits auch in Serbien an vielen Orten sehr kalt geworden ist.

Pause für die Böllerschüsse

Draußen vor dem Pressezentrum erregt derweil ein Mann in lokaler Tracht Aufsehen, dessen Hut ein – lebendes – Huhn ziert. Das offenbar sedierte Tier hebt nur mehr hie und da mit letzter Kraft die Flügel. Glasigen Blicks nimmt der Mann das Tier kurz ab und drückt ihm einen Kuss aufs Gefieder.

Sonntagabend ist alles vorbei: Als Dejan Petrovi? zum besten Trompeter gekürt wird, sind die meisten Besucher bereits weg. Es lohnt sich dennoch, eine weitere Nacht zu bleiben und die Metamorphose zu erleben, die aus Gu?a wieder ein verschlafenes Provinznest macht. Montagfrüh liegt zwar noch viel Müll herum, aber was sich hier in den vergangenen fünf Tagen abgespielt hat, ist nicht mehr zu erahnen. Langsam kehren auch die Einheimischen wieder zurück, die ihre Wohnungen oft für einen (serbischen) Monatslohn und mehr abgegeben haben. Und wer unter den Festivalbesuchern Glück hat, kennt jemanden, der jemanden kennt, dessen Familie aus dem Ort oder der näheren Umgebung kommt.

Ein ganzes Jahr haben die Wiesen nun Zeit, sich zu erholen. Und für ein Jahr erschallt in Gu?a als Weckruf kein Böllerschuss mehr, sondern ein Hahnenschrei.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.09.2009)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Außenpolitik

Kurz gestolpert bei der langen Aufholjagd

Serbien erlebt harte Rückschläge, hat aber schon ganz andere Krisen überlebt.
Außenpolitik

Sport: Ausverkauf in der Fußballtalenteschmiede

Serbiens Nachwuchskicker sind in ganz Europa heiß begehrt. Der dauernde Aderlass hat die Klubs aber nachhaltig geschwächt.
Außenpolitik

Literatur: Fluchtpunkt Belgrader Clubszene

Die junge serbische Autorin Barbi Markovi¿ erzählt über ihre Heimatstadt.
Außenpolitik

Hoffnung auf Jugoslawiens alte Freunde

Russland und China, aber auch Länder wie Libyen werden wieder wichtiger.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.