Sport: Ausverkauf in der Fußballtalenteschmiede

Serbiens Nachwuchskicker sind in ganz Europa heiß begehrt. Der dauernde Aderlass hat die Klubs aber nachhaltig geschwächt.

Belgrad(ros). Zumindest Serbiens Fußballerexport läuft auch in Krisenzeiten auf vollen Touren: Nicht nur Stars wie Nemanja Vidić (Manchester), Dejan Stanković (Inter Mailand), Branislav Ivanović (Chelsea), Neven Subotić (Dortmund) oder Gojko Kačar (Hertha) stehen ganz oben auf den Einkaufslisten internationaler Spitzenvereine. Deren Späher zählen inzwischen zu den Stammgästen auf den sonst oft gähnend leeren Tribünen von Serbiens schwacher „Superliga“. Das enorme Reservoir an hoch talentierten Jungkickern lockt Spielermakler und Manager in Scharen nach Serbien: Die Nachwuchsfußballer des 7,5-Millionen-Einwohner-Landes sind in ganz Europa gefragt.

„Was Technik und Taktik angeht, zählen die serbischen Fußballer zu den talentiertesten Europas – neben Franzosen und Holländern“, sagt Trainerveteran Dragoslav Stepanović, derzeit Coach bei Vojvodina Novi Sad. Doch während in den Niederlanden die Vereine die Juwelen der Nachwuchsschmieden drei, vier Jahre zu Hause Profiluft schnuppern lassen, bevor sie sie als gestandene Stars für stattliche Ablösen an ausländische Topklubs versilbern, setzt der Aderlass bei Serbiens Fußballtalenten früh ein.

Die Saison hatte noch kaum begonnen, da vermeldeten die Gazetten schon die ersten Transfers. Vom Abstiegskandidaten Rad Belgrad wechselte der U21-Nationalspieler Nemanja Pejcinović, beim Lokalrivalen OFK ließ sich der erst 18-jährige Aleksandar Ignovjovsi von 1860 München ködern.

Zum Stolz über den gefragten Nachwuchs gesellt sich bei Serbiens Presse zunehmend Unbehagen. „Die Superliga verfällt – und die Vereine sacken im Europacup auf ein immer niedrigeres Niveau ab“, lässt die Tageszeitung „Blic“ die Alarmglocken klingen.

Erfolglos im Europacup

Tatsächlich hebt sich der Erfolg der Exilkicker in Europa auffällig von den dürftigen Kurzauftritten der Vereine im Europacup ab. Seit Jahren müssen serbische Klubs meist schon im Spätsommer die Segel streichen. Heuer scheiterte Meister Partizan in der Champions-League-Qualifikation an einem zypriotischen Rivalen. Für Vizemeister Vojvodina und den früheren Europapokalsieger Roter Stern erwiesen sich in der Euroleague keineswegs hochkarätige Konkurrenten aus Österreich und Tschechien als zu stark.

13Spieler von Serbiens U21-Auswahl stehen bereits bei ausländischen Arbeitgebern unter Vertrag. Zwar kommen manchmal selbst Nationalspieler wie Zoran Tosić (22) bei Großvereinen wie Manchester über gelegentliche Berufungen auf die Reservebank nicht hinaus: Doch es sind nicht nur fürstliche Handgelder, sondern auch die Aussicht auf eine Weltkarriere, die die Talente früh an die Futtertröge ausländischer Spitzenvereine locken.

Die Aussicht auf schnelles Geld ist wiederum der Grund, dass Serbiens chronisch finanzschwache Vereine ihre Zöglinge früh ziehen lassen. Nach Ansicht des Ex-U21-Nationaltrainers Slobodan Krcmarević sind die mangelnde Geduld der Klubs und ihre kurzfristige Transferpolitik des „schnellen Stopfens der Löcher in der Kasse“ ein Fehler. Wenn die Vereine ihre Talente vor einem Verkauf etwas länger im Land halten würden, könnten seiner Meinung nach alle Seiten profitieren.

Ersatzbankwärmen bringt nichts

Für Nachwuchsfußballer sei es allemal besser, in der Heimat Spielpraxis auf dem Feld statt in der Fremde Erfahrungen auf der Reservebank zu sammeln, so Krcmarević. Die Vereine wiederum könnten bei späteren Verkäufen nicht nur sportlich noch eine gewisse Zeit von ihren Ausbildungsanstrengungen zehren, sondern auch die Transfermärkte mit fertigen Spielern statt mit Talenten gewinnbringend bereichern.

Die Strategie seines Klubs müsse es künftig sein, die Talente aus der eigenen Schule nicht sofort ins Ausland „zu verschleudern“, sondern sie erst ein, zwei Jahre zu halten und auszubilden“, fordert denn auch Vojvodina-Coach Dragoslav Stepanović: „Damit nicht nur Spielervermittler Profite einstreichen, sondern auch dem Klub etwas bleibt.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.09.2009)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Außenpolitik

Guca: Das Fest des Schweins und der Trompeten

Einmal im Jahr machen mehr als 1000 Musiker und hunderttausende Gäste ein verschlafenes Dorf im Südwesten Serbiens zum Zentrum des unverfälschten Balkan-Brass. Immer mehr Ausländer finden Geschmack daran.
Außenpolitik

Kurz gestolpert bei der langen Aufholjagd

Serbien erlebt harte Rückschläge, hat aber schon ganz andere Krisen überlebt.
Außenpolitik

Literatur: Fluchtpunkt Belgrader Clubszene

Die junge serbische Autorin Barbi Markovi¿ erzählt über ihre Heimatstadt.
Außenpolitik

Hoffnung auf Jugoslawiens alte Freunde

Russland und China, aber auch Länder wie Libyen werden wieder wichtiger.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.