Ein Gipfelsieg auf dem Hirschenkogel statt auf dem Mount Everest

Finanzminister Schelling.
Finanzminister Schelling.(c) APA/HERBERT NEUBAUER
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Der Finanzausgleich wäre ein Hebel für eine echte Föderalismusreform gewesen. Strukturkonservative Verhinderer haben diese Chance vertan.

Wenn einer die Besteigung des Mount Everest ankündigt – und dann doch nur ein Gipfelsiegfoto vom Hirschenkogel schickt, dann darf er sich nicht über enttäuschte Gesichter wundern. Der Regierung ist dieses PR-technische Gustostück jetzt binnen weniger Wochen gleich zwei Mal gelungen: Zuerst sind die Herren Kern und Mitterlehner mit vergleichsweise recht ambitionierten Plänen für eine echte Reform der Gewerbeordnung (Halbierung der Zahl der gebundenen Gewerbe, ein einziger Gewerbeschein für die mehr als 400 Nebengewerbe) am betonharten Verhindererblock Wirtschaftskammer/ÖGB zerschellt.

Und jetzt hat sich Finanzminister Schelling bei dem Versuch, die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern auf zukunftsträchtigere Beine zu stellen, eine blutige Nase geholt. Ist aber auch schwer, einen Reformzug in Fahrt zu bekommen, wenn in den Waggons neun ambitionierte Landesbremser sitzen.

Wir wollen hier natürlich nicht ungerecht sein: Auch der Aufstieg auf den Hirschenkogel hat einen gewissen sportlichen Wert. Der „Einstieg in die Aufgabenorientierung“ bei den Kindergärten, der gestern so bejubelt wurde, ist beispielsweise ein erstes Trippelschrittchen in die richtige Richtung. Aber ein insgesamt aufgabenorientierter Finanzausgleich, wie das dem Finanzminister vorgeschwebt ist, ist das noch lang nicht.

Und natürlich ist die Übertragung des Wohnbauförderungsbeitrags in die Kompetenz der Länder eine erste kleine Bewegung in Richtung der immer wieder geforderten Zusammenführung von Einnahmen- und Ausgabenverantwortung. Aber die vom Finanzminister angestrebte (und von den meisten Ländern strikt abgelehnte) Übertragung der Steuerhoheit an die Länder sieht doch irgendwie anders aus.

Abgesehen davon, dass gerade der Wohnbauförderungsbeitrag nicht gerade ein günstiges Symbol für den Einstieg in die regionale Steuerhoheit ist: Gerade die Länder haben das auf diesem von Arbeitgebern und Arbeitnehmern mit insgesamt einem Prozent der Bruttolohnsumme finanzierten Beitrag aufgebaute System der Wohnbauförderung längst ad absurdum geführt, indem sie Wohnbaumittel in großem Stil anderweitig, etwa für Spekulationen auf internationalen Finanzmärkten, verwendet haben. Auch wenn die WBF-Mittel künftig zweckgebunden sein sollen: Zuerst gehören wohl die für andere Zwecke abgezweigten Milliarden ins System zurückgeführt, bevor weiter Arbeitnehmer belastet werden.


Schade, aber da ist leider wieder eine Chance für die Modernisierung des Landes liegen gelassen worden. Der Finanzausgleich wäre ein erstklassiger Hebel gewesen, den heimischen Föderalismus zukunftsträchtig umzubauen. Und Finanzminister Schelling hat, das muss man schon sagen, sehr exakte und gute Vorstellungen dazu gehabt.

Dazu wäre es nötig gewesen, dem Prinzip zum Durchbruch zu verhelfen, dass jeder seine Ausgaben mit eigenen Einnahmen zu decken hat. Das derzeitige System, dass einer die Steuern einhebt und der andere das Geld ausgibt, kann nicht wirklich funktionieren. Die damit verbundene Steuerautonomie haben die Länder aber ebenso verhindert wie den Versuch, die völlig intransparenten Finanzströme zwischen Bund, Ländern und Gemeinden zu entwirren. Dieser selbst für Experten langsam undurchschaubare Transferwahnsinn führt ja jede Sparvereinbarung ad absurdum.

Statt die überfällige umfassende Reform der Finanzbeziehungen zwischen den Gebietskörperschaften anzugehen, hat man an ein paar kleinen Schräubchen gedreht. Am Ende eines ambitioniert begonnenen eineinhalbjährigen Verhandlungsprozesses stehen also jetzt 300 Millionen Euro mehr für die Länder, ein paar mit Managerkauderwelsch verbrämte Feigenblätter („Benchmarking“), ein paar kosmetische Korrekturen und die gefestigte Erkenntnis, dass sich in diesem Land ein strukturkonservativer Verhindererblock aus Ländern und Sozialpartnern gebildet hat, der jede echte Strukturreform zumindest vorerst unmöglich macht.

Und das ist das eigentlich Bittere an der Sache.

E-Mails an:josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.11.2016)

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