„Renzi will sich zum Diktator machen“

Von Neapel bis Rom streiten die Italiener seit Monaten über das Verfassungsreferendum, das ihr Ministerpräsident Matteo Renzi angesetzt hat. Manche haben die Diskussionen längst satt.
Von Neapel bis Rom streiten die Italiener seit Monaten über das Verfassungsreferendum, das ihr Ministerpräsident Matteo Renzi angesetzt hat. Manche haben die Diskussionen längst satt. imago/Independent Photo Agency
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Hitzig bis ermattet debattiert Italien quer durch alle Lager über die „Reform der Reformen“ – und die Erpressungstaktik des Premiers.

Rom. Täglich grüßt das Murmeltier – in Trastevere ist das der freundliche ältere Herr, der auf der Piazza in dem Viertel Roms seine Zettel verteilt, auf denen ein lautes „NO“ in Großbuchstaben gedruckt steht. Geduldig fragt er jeden Passanten, dem er seine Botschaft in die Hand drückt, ob er denn wählen gehe – und wenn ja, was? „Vota si o vota no? Stimmen Sie mit Ja oder stimmen Sie mit Nein?“ Auch in der Bar, wo sich die Nachbarschaft morgens zum schnellen Espresso am Tresen trifft, wird über kaum eine andere Frage diskutiert. „Mir war sofort klar, dass ich mit Ja stimmen werde“, ruft eine etwa 60-Jährige laut in die Runde. „Ihr müsst euch nur anschauen, wer alles für das Nein Werbung macht – Berlusconi, Salvini, Grillo“, zählt sie die Parteipromis des rechten Lagers und der Populisten auf. „Wie kann man da noch Nein sagen.“

Am 4. Dezember stimmen die Italiener in einer Volksabstimmung über die Änderung ihrer Verfassung ab. Premierminister Matteo Renzi hatte das Referendum über die „Reform der Reformen“, wie er sie nennt, im Frühjahr noch vollmundig mit seinem eigenen politischen Schicksal verknüpft. Allerdings zog er das im August in einem Interview wieder zurück. Laut den letzten Erhebungen vor dem Referendum liegt das Nein zwischen sieben und zehn Prozentpunkten vor dem Ja. Aber es gibt auch noch viele Unentschlossene. Und obwohl sich scheinbar alle in Italien danach sehnen, dass das Gezerre um die Bürger und ihre Stimme endlich ein Ende haben wird, herrscht eine weit verbreitete Beunruhigung: Niemand weiß schließlich, was nach diesem 4. Dezember auf das Land zukommen wird.

Grillo zu Renzi: „Verwundete Wildsau“

„Ich habe große Angst, dass der Populismus weiter zunehmen wird“, sagt Federica Caccavale. Die 47-jährige Architektin ist Stammwählerin des Partito Democratico, der Partei von Premierminister Renzi. Doch sie wird an diesem Sonntag mit Nein stimmen. Sicher, das Risiko, dass Renzi falle, sei da, das wisse sie. „Aber es ist ein Referendum über die Verfassung. Und ich bin gegen diese Änderungen.“ Dadurch, dass es nun nicht mehr um die Sache geht, sondern um die Zukunft einer Regierung, und damit um das Schicksals des Landes, fühle sie sich, als halte ihr jemand eine Pistole an den Kopf. „Unsere Verfassung sollte nicht für so etwas missbraucht werden“, so Caccavale. Die Art des Wahlkampfs? Unmöglich, findet sie. Der Tiefpunkt war vor wenigen Tagen erreicht, als der Chef der Fünf-Sterne-Bewegung, Beppe Grillo, Premierminister Renzi vor wenigen Tagen eine „verwundete Wildsau“ und die Befürworter der Verfassungsänderung „Serienkiller von italienischen Kindern“ nannte.

Worum es eigentlich geht, tritt in den Hintergrund. Dabei bemühen sich die lokalen Komitees aus Freiwilligen, mehrere Tausend im ganzen Land auf beiden Seiten, seit Wochen unermüdlich, genau das den Menschen klar zu machen. 47 Artikel der Verfassung sollen geändert werden. Im Kern geht es darum, das System zu entschlacken und das Zwei-Kammern-System faktisch abzuschaffen. Neben der Anzahl der Senatoren – von 315 auf 100 – soll auch die Zuständigkeit des Senates stark beschränkt werden. Bisher waren die beiden Kammern, das Abgeordnetenhaus und der Senat, gleichberechtigt – gegenseitige Blockaden keine Seltenheit.

Reformglaubwürdigkeit auf dem Spiel

Die Reform der Verfassung ist die wichtigste einer Reihe anderer Reformen, die Renzi und seine Regierung in den vergangenen zweieinhalb Jahren durchgesetzt haben. „Wenn das Nein gewinnt, wäre das dramatisch“, sagt Laura Garavini, Abgeordnete des Partito Democratico und Vorsitzende der deutschitalienischen Parlamentariergruppe. „Die Glaubwürdigkeit, die Italien während des Reformprozesses aufgebaut hat, ginge wieder verloren. Wir wären erneut das Land, das seit 30 Jahren eine Verfassungsreform machen will und es wieder nicht schafft.“ Ein abschreckendes Signal auch an ausländische Investoren.

Dabei ist Italien für diese gerade ohnehin nicht besonders attraktiv. Die Wirtschaft kommt seit der Finanzkrise 2007/2008 nicht in die Gänge, die Arbeitslosigkeit liegt wie Blei bei rund zwölf Prozent – auch wenn sich nach der Arbeitsmarktreform Renzis bereits minimale Besserungen zeigen. Die Gefahr der Instabilität nach dem Referendum hat in den vergangenen Wochen ihr übriges beigetragen: Im vergangenen halben Jahr hat der Mailänder Aktienindex mehr als acht Prozentpunkte verloren. Die Zentralbank Italiens schreibt in ihrem aktuellen Stabilitätsbericht, dass sie in der ersten Dezemberwoche im Zusammenhang mit dem Referendum mit einer verschärften Instabilität des italienischen Marktes rechnet. Die Rettung der Banken, die unter einem 360 Milliarden Euro schweren Berg an faulen Krediten zu versinken drohen, dürfte bei einer Regierungskrise nach einem Nein noch schwieriger werden.

Wenn das Nein gewinnt, wäre das eine Abstimmung gegen das System, sagt Riccardo Magnisi. „Ich habe vor allem Angst, dass wir in der Welt dieselbe dumme Figur machen wie die Engländer nach der Brexit-Abstimmung.“ Magnisi arbeitet im selben Architekturstudio wie Federica Caccavale. Beim Mittagessen mit den Kollegen komme es in letzter Zeit immer wieder zu heftigen Diskussionen. So wie heute. „Ich bin überhaupt nicht einverstanden mit dem, was Renzi gerade treibt“, sagt der 31-Jährige. Aber er wisse noch nicht, wie er am Wahlsonntag abstimmen werde. „Würde ich mit dem Herzen abstimmen, hieße das Nein. Aber stimme ich mit dem Kopf ab, läuft es auf ein Ja hinaus.“

Die Kritiker sehen in der Verfassungsänderung und der damit einhergehenden Schwächung des Senates eine zu starke Machtkonzentration im Amt des Premiers. Denn mit dem neuen Wahlrecht, über das ebenfalls derzeit heftig diskutiert wird, soll künftig das Parteienbündnis, das bei einer Wahl über 40 Prozent oder eine anschließende Stichwahl gewinnt, automatisch die Mehrheit der Parlamentssitze zugesprochen bekommen.

Kein Blankoscheck

„Renzi will sich unauffällig zum Diktator machen“, so das Urteil eines wütenden römischen Taxifahrers. So weit will die Architektin Caccavale nicht gehen. Ihr sei die Reform der Verfassung einfach zu unkonkret. „Es wird mehr Macht verlangt, aber wofür genau, das wird nicht gesagt.“ Und die Änderung würde ja nicht nur die jetzige Regierung Renzi betreffen. Einen Blankoscheck für das alleinige Regieren wolle sie niemandem ausstellen.

Viele haben das Gerede um das Referendum einfach satt. „Wir sprechen jetzt seit Monaten über diese Reform“, so Magnisi. „Sie wird aber nicht besser, je länger wir darüber reden.“ Er werde sich in der kommenden Woche noch mal genau informieren. Und dann am 4. Dezember morgens entscheiden, wo er sein Kreuz machen möchte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.11.2016)

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