Nachdem ein Cybermobbing-Verfahren gegen Facebook eingestellt worden ist, regt sich Kritik an der aktuellen Gesetzeslage.
Wien/Innsbruck. „Was bringt eine Strafanzeige gegen Facebook?“ So lautete der Titel eines „Presse“-Artikels, nachdem die Grünen eine Sachverhaltsdarstellung wegen Cybermobbing-Verdachts eingebracht hatten. Die Antwort liegt bereits vor, sie lautet, brutal gesagt, nichts.
Die Anzeige, die nach Veröffentlichung eines Prügelvideos eingebracht wurde, wurde bereits zurückgelegt. Ein Vorgehen, das nun auch Kritik seitens der Strafrechtslehre hervorruft. Auslöser war jenes Prügelvideo, das zeigt, wie eine 15-Jährige in Wien von Jugendlichen geschlagen wird und einen doppelten Kieferbruch erleidet. Das Video war von einer Verwandten des Opfers online gestellt und ungefähr fünf Millionen Mal aufgerufen worden, ehe Facebook es endlich vom Netz nahm. Der gegen das soziale Netzwerk eingebrachten Strafanzeige (Verdacht: Beteiligung am Cybermobbing) wurde deshalb nicht nachgegangen, weil, wie es heißt, der Tatbestand nicht erfüllt sei.
Die Einstellung erfolgte seitens der Staatsanwaltschaft (StA) Innsbruck. Dort war der Fall gelandet, weil Innsbruck bereits ein anderes Strafverfahren gegen Facebook führt. Dabei geht es um nationalsozialistische Inhalte, die laut Anzeige ebenfalls nicht gelöscht worden seien. Dieses Verfahren läuft noch.
Hinsichtlich des beendeten Prügelvideoverfahrens äußerte am Donnerstag die Vizeleiterin des Instituts für Strafrechtswissenschaften der Linzer Johannes-Kepler-Uni, Lyane Sautner, deutliche Kritik. Im Gespräch mit der Austria Presse Agentur zeigte sie sich einerseits über die Begründung der Einstellung verwundert, andererseits stufte sie den Cybermobbing-Tatbestand quasi als weltfremd ein.
Cybermobbing begeht, wer „im Weg einer Telekommunikation oder unter Verwendung eines Computersystems in einer Weise, die geeignet ist, eine Person in ihrer Lebensführung unzumutbar zu beeinträchtigen, eine längere Zeit hindurch fortgesetzt eine Person für eine größere Zahl von Menschen wahrnehmbar an der Ehre verletzt [. . .]“. Die Sanktion: bis zu einem Jahr Haft oder eine Geldstrafe.
In ihrer Begründung hatte die StA erklärt, das Video sei „weder geeignet, das Prügelopfer (längere Zeit hindurch fortgesetzt) in seiner Lebensführung unzumutbar zu beeinträchtigen, noch es an der Ehre zu verletzen [. . .]“. Diese Begründung ärgert vor allem die Grünen.
Wenn man argumentieren könne, dass ein solches Video keine dauerhafte Schädigung nach sich ziehe, dann sei der Cybermobbing-Paragraf „komplett zum Schmeißen“, so Mediensprecher Dieter Brosz.
Ausführliche Grünen-Anfrage
Der Sprecher der Staatsanwaltschaft Innsbruck, Hansjörg Mayr, fühlt sich im „Presse“-Gespräch missverstanden. Die Ehrverletzung lasse er ja gelten, aber das Tatbestandsmerkmal „eine längere Zeit hindurch fortgesetzt“ sei nicht erfüllt. Darauf komme es an.
Hier setzt Rechtswissenschaftlerin Sautner an: Unter dem Strich gehe die Einstellung des Verfahrens in Ordnung. Aber: „Der Fall zeigt, dass Paragraf 107c Strafgesetzbuch (Cybermobbing, Anm.) der Realität des Cybermobbings nicht ausreichend gerecht wird.“ Auch gravierende einmalige Tathandlungen sowie das Unterlassen der Löschung von Inhalten sollten vom Tatbestand umfasst sein. So wäre auch gegen Facebook eine Handhabe gegeben. Die Grünen bringen nun eine (der „Presse“ schon vorliegende) umfangreiche parlamentarische Anfrage zu dem Thema ein.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.12.2016)