Bei dem Flugzeugunglück auf dem Weg nach Syrien wird ein Motorschaden als eine mögliche Ursache genannt.
Wien/Moskau/Sotschi. Vor dem Haus der als „Doktor Lisa“ bekannten Wohltäterin Jelisaweta Glinka in Moskau häufen sich Kerzen und rote Nelken. Glinka war, wie 64 Mitglieder des Alexandrow-Armeechors und neun Journalisten, an Bord der Tupolew 154, die am 25. Dezember um 5.27 Uhr Ortszeit nahe Sotschi aus noch ungeklärter Ursache ins Schwarze Meer stürzte. Glinka verkörperte für viele Russen den guten Menschen: Als Leiterin der Organisation Gerechte Hilfe half sie im Krieg in der Ostukraine in den von prorussischen Milizen kontrollierten Gebieten Kindern und saß im Menschenrechtsbeirat des russischen Präsidenten Wladimir Putin.
Die Ärztin und die Künstler waren im offiziellen Auftrag in das Kriegsland Syrien unterwegs.Die Tupolew, die in Moskau gestartet war und in Sotschi zum Auftanken Zwischenstation machte, gehörte dem russischen Verteidigungsministerium und sollte die Passagiere zur Luftwaffenbasis Hmeimim bringen. Glinka wollte Medikamente an ein Krankenhaus in Latakia liefern, die Mitglieder des traditionsreichen Ensembles sollten russischen Soldaten mit Schlagern aus sowjetischer Zeit eine fröhliche Silvesterfeier gestalten. Journalisten verschiedener Fernsehkanäle waren mitgereist, um über die russischen Aktivitäten in Syrien wohlwollend zu berichten.
Doch statt positiver Nachrichten über den Aufbau eines kriegszerstörten Landes trägt Russland nun Trauerflor. „Zivile Verluste in einem undurchsichtigen Krieg“ betitelte die Zeitung „Wedomosti“ kritisch einen Kommentar.
Auf einen Schlag hat das Land eine große Zahl an Künstlern und eine engagierte Frau verloren – Bürger im humanitären, „weichen“ Kriegseinsatz, deren Tod nach ersten Erkenntnissen niemand vorsätzlich herbeigeführt hat. Dennoch ist es eine Tragödie, die einen politischen Konnex hat und die Frage aufwirft, wie hoch der Preis der Intervention in Syrien ist und noch sein wird.
Schwierige Bergung aus dem Meer
Am Montag gingen in der südrussischen Metropole Sotschi die Bergungsarbeiten weiter. 45 Schiffe, fünf Helikopter, Drohnen und mehr als 100 Taucher waren an dem Einsatz beteiligt, der Klarheit über die Absturzursachen bringen und die 92 Passagiere, von denen niemand den Aufprall ins Schwarze Meer überlebt hatte, bergen sollte. Einen Tag nach dem Absturz wurden erst 13 Leichen gefunden, wie die russische Nachrichtenagentur Ria Nowosti berichtete. Sie wurden zur Identifizierung nach Moskau überführt. Den Rumpf des Flugzeugs fand man in 27 Metern Tiefe. Der Flugschreiber blieb verschwunden. Aufgrund der starken Meeresströmung gestalteten sich die Bergungsarbeiten schwierig.
Der russische Inlandsgeheimdienst FSB schloss gestern einen Terroranschlag an Bord der ins Schwarze Meer gestürzten Tupolew nahezu aus. Die Ermittler nannten fünf Hauptursachen, die für den Absturz des Flugzeugs mit 92 Insassen an Bord am Sonntagmorgen verantwortlich sein könnten. Neben minderwertigem Kraftstoff könnte ein Fremdobjekt in den Motor gelangt sein, hieß es am Montag von Seiten des FSB. Weitere mögliche Versionen: Motorenausfall, ein Pilotenfehler oder allgemeines „technisches Versagen des Flugzeugs“.
Die TU-154 war um 1.38 Uhr Ortszeit vom Moskauer Militärflugplatz Tschkalowskij gestartet. Ursprünglich hätte sie in Mosdok zwischenlanden sollen, wurde aber aufgrund von Schlechtwetter auf den Airport Adler bei Sotschi umgeleitet. Zwei Minuten nach dem Start verschwand das Flugzeug vom Radar.
Internationale Politiker sprachen Moskau ihre Anteilnahme aus – etwa die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker. Auch Papst Franziskus bekundete sein Beileid. Anders sahen Reaktionen in der Ukraine aus – hier offenbart das Unglück, wie tief die Gräben zwischen den Nachbarstaaten sind. Beileidsbekundungen blieben aus, eine bekannte Kolumnistin freute sich gar über den Tod der Kreml-treuen Journalisten und erntete viel Zuspruch in sozialen Netzwerken. Kiew, das im Donbass im dritten Jahr gegen von Moskau unterstützte Separatisten kämpft, scheint sich kein Mitgefühl mehr zu leisten.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.12.2016)