Wissenschafterin des Jahres: Der (nicht so) kleine Unterschied

 Soeben von Fachjournalisten als Wissenschafterin der Jahres ausgezeichnet: Alexandra Kautzky-Willer, geboren 1962 in Wien, Professorin für Gendermedizin an der medizinischen Universität Wien, hier vor Wachsmodellen im Wiener Josephinum.
Soeben von Fachjournalisten als Wissenschafterin der Jahres ausgezeichnet: Alexandra Kautzky-Willer, geboren 1962 in Wien, Professorin für Gendermedizin an der medizinischen Universität Wien, hier vor Wachsmodellen im Wiener Josephinum. (c) APA/HERBERT NEUBAUER
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Die Gendermedizin erforscht Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Alexandra Kautzky-Willer ist prominente Vertreterin dieses Faches.

In den sogenannten Gender Studies ist es derzeit bei manchen Geistes- und Sozialwissenschaftlern, vor allem in der Schule Judith Butlers, en vogue, möglichst alle Differenzen zwischen den beiden Geschlechtern als kulturell konstruiert zu erklären. Anders in der Gendermedizin: Dieses Fach befasst sich spezifisch mit den Unterschieden zwischen Männern und Frauen. Diese sind zwar in Wechselwirkung mit kulturellen Faktoren, finden sich aber „in allen Organen, auch in der Ebene der Zellen“, wie Alexandra Kautzky-Willer erklärt: „Die Biologie ist einfach unterschiedlich.“ Viele Unterschiede liegen an den Hormonen, und zwar nicht nur an den eigentlichen Sexualhormonen, auch Insulin und Glukagon wirken bei Frauen und Männern unterschiedlich.

Das erklärt etwa, wieso Typ-2-Diabetes bei Frauen oft zu spät erkannt wird. Kautzky-Willer, die auf die Volkskrankheiten Adipositas (Fettleibigkeit) und Diabetes spezialisiert ist, plädiert vehement für Zuckerbelastungstests, besonders bei Schwangeren. Auch bei den Wirkungen – und Nebenwirkungen! – von Medikamenten kennt man beträchtliche Geschlechterunterschiede, die Arzneimittelforschung ist oft noch auf Männer ausgerichtet. Sie glaube nicht, dass es in Zukunft „eine rote und eine hellblaue Pille“ geben werde, sagte Kautzky-Willer in einem Interview mit der APA, „doch im Beipacktext wird es Hinweise geben, welche Nebenwirkungen häufiger bei Frauen zu erwarten sind“.

Berücksichtigung der Geschlechterunterschiede in der Medizin kann natürlich auch die Männer betreffen. So meint Kautzky-Willer, dass man diesen schon früher – mit 45 – zur Darmspiegelung raten solle. Benachteiligt seien Männer bei der Diagnose von Depressionen: Für sie typische Symptome – Unruhe etwa – stehen noch nicht im Katalog. Immerhin begehen dreimal so viele Männer wie Frauen Selbstmord. Auch Osteoporose werde bei Männern oft übersehen, eben weil sie bei ihnen seltener als bei Frauen (vor allem nach dem Wechsel) ist.

Ein, zwei Jahre Differenz bleiben

Ein auffälliger Unterschied zwischen Frauen und Männern ist, dass diese in fast allen Ländern im Durchschnitt kürzer leben, in Österreich z. B. circa um sechs Jahre. Würde optimale geschlechtsspezifische Behandlung diesen Unterschied verringern? Schon, meint Kautzky-Willer, aber eine Differenz von ein bis zwei Jahren werde wohl bleiben, das liege wahrscheinlich an den Unterschieden bei der Fortpflanzung. Interessant sind hier Klosterstudien: Mönchen bringt offenbar ihre Lebensweise – die sich wohl in niedrigerem Testosteronspiegel auswirkt – deutlich mehr Lebensjahre, bei Nonnen ist der Unterschied zu anderen Frauen viel geringer.

Viel ist hier noch unerklärt, weiß Kautzky-Willer und zitiert Goethe („Auch in Wissenschaften kann man eigentlich nichts wissen, es will immer getan sein“), aber auch die frühe Feministin Rosa Mayreder: „Die beiden Geschlechter stehen in einer zu engen Verbindung, sind voneinander zu abhängig, als dass Zustände, die das eine treffen, das andere nicht berühren sollten.“ Sowohl Goethe als auch Mayreder seien ja journalistisch tätig gewesen, er zwei Jahre bei den „Propyläen“, sie drei Jahre bei den „Dokumenten der Frauen“, scherzte sie bei der Pressekonferenz, sie hoffe, dass ihre gute Zusammenarbeit mit Journalisten länger dauern werde . . .

Alexandra Kautzky-Willer ist Tochter eines Lehrerpaars, sowohl ihr Mann als auch ihr Sohn sind ebenfalls Mediziner. Habilitiert hat sie sich 1997 mit einer Arbeit über Insulin für das Fach Innere Medizin, 2010 übernahm sie an der Uni Wien die erste Professorenstelle für Gendermedizin in Österreich. Als Hobby nennt sie die Zucht von Reptilien, wobei sie auch in der Beschäftigung mit Stachelschwanzwaranen und Bartagamen der Genderwissenschaft nicht ganz entkommt. Schließlich können diese Tiere über die Temperatur der Eier bestimmen, ob ihr Nachwuchs männlich oder weiblich wird.

Bisherige Preisträger

Seit 1994 wählt und ehrt der österreichische Klub der Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten alljährlich eine(n) Wissenschafter(in) des Jahres.
Bisher waren das: Georg Wick, Stefan Karner,
Anton Zeilinger, Rudolf Rieder und Heinrich Wänke, Herbert Budka, Christoph Badelt, Hildegunde Piza,
Ulrich H. J. Körtner, Renée Schroeder,
Josef Penninger, Rudolf Taschner, Helga Kromp-Kolb, Konrad Paul Liessmann, Wendelin Schmidt-Dengler, Fatima Ferreira, Rudolf Grimm, Kurt Kotrschal, Sabine Ladstätter, Georg Grabherr, Verena Winiwarter, Wolfgang Baumjohann, Wolfgang Neubauer.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.01.2017)

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