Experteninterview: „Neid ist ein probates Mittel für Marktdynamik“

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Neid kann Ehrgeiz anstacheln, aber auch depressiv machen.

„Die Presse“: In Österreich wird wieder über soziale Ungleichheit diskutiert, der Neid ist in aller Munde. Was sind typische Ursachen dafür?
Rolf Haubl: Neid hat immer etwas mit einer sozialen Ungleichheit zu tun. Er reagiert darauf, ob die wertvollen Güter in einer Gesellschaft gleich verteilt sind. Die Fragen sind: Warum haben die anderen mehr als ich? Und haben diejenigen, die mehr haben, zu Recht mehr, oder ist es nicht nachvollziehbar, ist es ungerecht?


Wie ausgeprägt ist der Neid gerade jetzt, in der Krise?
Haubl: Etwa in der Diskussion um Managergehälter haben uns die meisten Deutschen in einer Umfrage gesagt, dass sie gar nicht auf Ackermann und Co. neidisch sind. Fast 50 Prozent haben gemeint: Jeder soll so viel kriegen, wie er leistet. Wer mehr leistet, soll auch mehr kriegen. Und nicht etwa: Alle sollen gleich viel bekommen. Aber dann gibt es noch viele, die dem anderen zwar das große Auto neiden, aber nicht jedes zweite Wochenende ihre Freizeit dafür opfern würden. Das Bewusstsein für diesen Zusammenhang fehlt dann oft.
Was wird heute am meisten geneidet? Auto, Penthouse, Pension?
Haubl: Materielle Güter haben in unserer Gesellschaft einen höheren Wert als ideelle, das kann Geld genauso sein wie Grundbesitz. Dagegen sind das Talent eines anderen oder persönliche Eigenschaften zweitrangig. Aber unter Studierenden im Alter von 21 bis 26 Jahren haben wir überraschend herausgefunden, dass Attraktivität am meisten geneidet wird.


Ist Neid erlaubt, auch unter Kollegen?
Haubl:
Er kann auch eine positive Seite haben, wenn ich anfange, mich anzustrengen und meine Fähigkeiten zu entwickeln – nach dem Vorbild des anderen. In unserer Marktgesellschaft ist der Neid, der Ehrgeiz verbreitet, etwas, was in der Wirtschaft gefördert wird, was Marktdynamik bringt. Dieser Neid funktioniert aber nur, wenn man auch die Erfahrung macht, dass man durch mehr Anstrengung tatsächlich zu mehr kommt.


Worum geht es eigentlich, wenn man Neid zeigt?
Haubl: Die Güter sind meistens die Oberfläche. Denn die Werte, um die es geht, sind verborgene: Zufriedenheit, Glück oder Anerkennung. Es geht nicht wirklich um das große Auto mit dem großen Hubraum und der hohen Geschwindigkeit, sondern um die Vorstellung: Wenn ich ein solches habe, werden mich die anderen respektieren und für voll nehmen. Sie werden mich sogar beneiden. Das Beneidetwerden ist ein wichtiger sozialer Indikator. Es ist ein Signal, dass aus mir etwas geworden ist.


Was sind denn Folgen von Neid?
Haubl: Bei negativem Neid hat man den Tunnelblick: Ich habe etwas nicht, also soll es der andere auch nicht haben. Man macht es ihm madig und wird feindselig. Ein solcher Neid kann so weit führen, dass man die eigenen Talente vernachlässigt und seine kreativen Ideen einstellt. Es gibt auch einen Zusammenhang zwischen Neid und depressiver Stimmung. In Einzelfällen droht sogar Lebensgefahr. Wer tiefen Neid verspürt, macht nichts aus seinem Leben. Wenn er sich darauf konzentriert, was der andere mehr hat, zerstört das die Lebensfreude.


Was ist der Ausweg?
Haubl: Zentral ist, ob man tut, woran das Herz hängt. Entscheidend sind der eigene Lebensstil und die Werte, die man verfolgt. Darauf sollte man sich viel stärker konzentrieren, ohne äußeren Einfluss.


Wie kann man sich schützen, wenn man selbst beneidet wird?
Haubl: Reales und symbolisches Abgeben sind probate Mittel. Wenn Sie in einem feindselig-neidischen Umfeld sind, bleibt nur, die eigenen Vorteile zu verbergen, Understatement zu betreiben. So wie die Schweiz schon jahrzehntelang eine Außenfassade hat, die bescheiden ist, sodass man von außen nicht auf den Reichtum schließen kann.


Kann man nie ganz zufrieden sein?
Haubl: Nein, aber das ist auch ganz gut so, es ist ein wichtiger Motor. In der Alltagssprache sagen wir ja auch, man möge glücklich und zufrieden sein. Das Streben nach Glück ist etwas, was über Zufriedenheit hinausgeht, man will mehr. Aber es ist auch immer mit der Gefahr des Scheiterns verbunden. Es braucht die Fähigkeit, mit sich und seinen Zielen Frieden zu machen.


Wie stehen Sie zum Neid als eine der sieben Todsünden?
Haubl: Sozialwissenschaftlich betrachtet kommt die Todsündenidee des Neides aus einer vormodernen Gesellschaft, die alles daransetzt, die gesellschaftlichen Kräfte zu zügeln, die Dynamiken stillzulegen. In einer Marktgesellschaft wie der unsrigen wirkt das recht antiquiert. Die moderne Gesellschaft versucht eben, Dynamik zu entwickeln, und Neid ist ein probates Mittel dafür.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.10.2009)

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