Bei einem Kurzbesuch in Ankara mahnte die deutsche Bundeskanzlerin die Einhaltung der Grundrechte ein. Präsident Erdoğan verteidigte seine geplante Verfassungsänderung.
Istanbul. Ein herzlicher Empfang sieht anders aus. Hölzern schüttelten sich Recep Tayyip Erdoğan und Angela Merkel im Präsidentenpalast in Ankara die Hände, für die anwesenden Fotografen gab es ein kurzes Nicken und ernste Gesichter; besonders Erdoğan wirkte angespannt. Nein, ein Besuch unter guten Freunden war Merkels Visite in der türkischen Hauptstadt am Donnerstag nicht.
Erstmals seit dem gescheiterten Putsch im vergangenen Juli besuchte die deutsche Bundeskanzlerin die krisengeschüttelte Türkei, auf dem Programm stand auch ein Rundgang durch jenen Teil des Parlaments, das in der Putschnacht bombardiert wurde. Der Coup und die Folgen – das war denn auch ein wesentliches Thema bei dem fast dreistündigen Gipfeltreffen. Denn die Beziehungen zwischen Ankara und Berlin sind in den vergangenen Monaten auch deswegen deutlich abgekühlt, weil die regierende AKP unerbittlich das Land umkrempelt, nach den Verantwortlichen des Staatsstreichs sucht und dabei auch Parteikritiker und Oppositionelle in die Ecke drängt. Europäische Spitzenpolitiker wie Merkel haben wiederholt die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien eingemahnt und sind bisweilen auf taube Ohren gestoßen.
Die Gerichte entscheiden
Vielmehr wirft die Türkei Deutschland vor, Anhänger des Predigers Fethullah Gülen, die Ankara hinter dem Coup ortet, sowie PKK-Mitglieder mutwillig zu schützen. Merkel wolle gezielt auf diese Vorwürfe reagieren und diese richtigstellen, hieß es im Vorfeld ihres Besuches. Darüber hinaus zeigt sich Berlin schwer verärgert über Berichte, wonach über türkische Moscheen in Deutschland gezielt Gülen-Anhänger ausgeforscht würden. „Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass es dort Bespitzelungen gibt“, so Merkel bei der gemeinsamen Pressekonferenz am Donnerstag.
Die Kanzlerin verwies auf die Untersuchungen der deutschen Gerichte, auch im Zusammenhang mit der Frage, ob und welche Gülen-Anhänger an die Türkei ausgeliefert werden sollen, sowie über die Zukunft jener rund 40 ranghohen türkischen Nato-Soldaten, die nach dem Putschversuch Asyl in Deutschland beantragt hatten.
Einigkeit herrschte jedenfalls bei dem Thema Terrorbekämpfung. Die Lage im Irak und in Syrien stand zur Debatte, so auch das Flüchtlingsabkommen zwischen der EU und der Türkei. Merkel flog am gleichen Abend nach Malta weiter, wo heute ein informelles Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs stattfinden wird und wo Merkel die türkische Position brühwarm wiedergeben kann.
Die Flüchtlingsfrage wird tragendes Element der deutschen Bundestagswahl im September sein, wohl deswegen hat Merkel die Aussprache in Ankara gesucht. Um neue Migrationsströme zu vermeiden, ist Berlin auf Ankara angewiesen. Gerade das schlachte Erdoğan aber aus und könne ungehindert das Land entrümpeln, befürchten Oppositionelle – und kritisierten Merkel für ihren Besuch in einer politisch äußerst schwierigen Lage.
Merkel hingegen mahnte am Donnerstag die Gewaltenteilung, die Meinungs- und Pressefreiheit in der Türkei ein. Und sagte mit Blick auf die von der AKP geplante geplante Verfassungsänderung: „Die Opposition gehört zu einer Demokratie dazu.“ Erdoğan strebt die Umwandlung der Türkei in eine Präsidialrepublik an, das Referendum dazu wird wohl im April über die Bühne gehen. Mit der Verfassungsänderung will Erdoğan seine Macht zementieren, aber auch große Teile der Opposition ausschalten, wie seine Gegner befürchten. Erdoğan beschwichtigte die Bedenken, während Merkel vorschlug, dass die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) den Prozess des Referendums beobachten solle.
Treffen mit HDP-Politiker
Im Vorfeld ihres Besuchs warf der sozialdemokratische Oppositionspolitiker Kemal Kılıçdaroğlu Merkel vor, mit ihrem Besuch so kurz vor dem Referendum Erdogan in die Hände zu spielen. Merkel hat aber nach den offiziellen Palastterminen demonstrativ Vertreter anderer Parteien getroffen, darunter auch Kılıçdaroğlu. Selbst ein Treffen mit der prokurdischen HDP war ausdrücklich erwünscht.
Dem Vernehmen nach lud die deutsche Botschaft Idris Baluken ein. Der Abgeordnete ist erst kürzlich aus der U-Haft entlassen worden und sollte Merkel über die Lage der inhaftierten Doppelspitze der Partei informieren. Ankara wirft der linken und regierungskritischen HDP vor, politischer Arm der PKK zu sein. Etliche Abgeordnete und Parteimitglieder sind in Haft.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.02.2017)