Neuer Familienfrieden bei Unionsparteien

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GERMANY-POLITICS-CDU-CSU-MEETING(c) APA/AFP/CHRISTOF STACHE
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Die CSU hat CDU-Chefin Angela Merkel ihre Unterstützung für die Kanzlerkandidatur ausgesprochen. Uneinigkeit über Flüchtlingsobergrenze bleibt.

München. München kann sehr grau sein im Winter, und am Mittleren Ring, wo die CSU ihren Sitz hat, ist die Stadt an diesem Montag ganz besonders grau: Grau die weite Asphaltfläche der Stadtautobahn, grau die Hochhäuser von Hotels, Banken und Internetfirmen, kahl die Bäume, braungrau die Grünflächen, grau die vorerst letzten Schneehaufen, und auch der Himmel macht keine Ausnahme.

Eigentlich leuchtet nur das blaue, meterhohe CSU-Logo vor der Kantine der Parteizentrale; es lässt sich drehen, immer dahin, wo die Fernsehkameras stehen. Sie sollen ja mitkriegen, dass da ein Frühling inszeniert wird, eine Zukunft, ein Aufbruch. Und als CSU-Chef Horst Seehofer am Montag Vormittag vor dem Haus erscheint, da knetet er die Hände vor lauter Kälte.

Erst kurz nach halb eins in der Nacht soll Gastgeber Seehofer am Abend zuvor die Parteizentrale verlassen haben, fünf Minuten nach Bundeskanzlerin Angela Merkel. So streut es der Pressesprecher: Um zu illustrieren, wie harmonisch und gemütlich es zugegangen sein soll beim gemeinsamen Grillabend der Unionsparteien, nachdem die über Monate zerstrittenen Schwestern mehr als fünf Stunden lang – wie wiederum Merkel festhält – über politische Zukunftsthemen gesprochen und „ein sehr, sehr hohes Maß an Übereinstimmung“ festgestellt haben. Das letzte Zitat stammt nicht von Merkel, sondern von demjenigen, von dem man es nach den fortgesetzten Dissensfeststellungen der vergangenen eineinhalb Jahre am wenigsten erwartet hätte: von Horst Seehofer.

Gemeinsames Wahlprogramm

So euphorisch wie er drückt Merkel sich die ganze Pressekonferenz über nicht aus. Ihre Wortwahl klingt zunächst eher wie ein Appell: „Gemeinsamkeit ist schon ein hohes Gut in den Augen der Menschen, deswegen haben wir daran gearbeitet, und das sehr ehrlich.“ Und während Seehofer grinsend seine Witzchen macht, etwa vom Typ: „Bayern gehört zu Deutschland, das bestätige ich gerne – für den Augenblick“, sieht man Merkel zunächst nicht einmal lächeln.

Ihr ist es aber wichtig festzuhalten – fast drei Monate nach ihrer Kanzlerkandidatur –, „dass wir nun in zwei Punkten Klarheit haben: dass es Unterstützung vonseiten der CSU gibt, und dass wir an einem gemeinsamen Wahlprogramm arbeiten.“ Die beiden Parteien, sagt die Kanzlerin, „haben es nicht leicht gehabt miteinander“. Und auf die Frage, ob denn die Wunden, die Seehofer provoziert hat, unter anderem, indem er Merkels Flüchtlingspolitik eine „Herrschaft des Unrechts nannte“, verheilt seien, antwortet sie: „Vor meiner Entscheidung über eine Kandidatur habe ich die Monate zuvor Revue passieren lassen. Dann habe ich Ja gesagt, das schließt ein, dass ein Weg in die Zukunft da war und dass es sich lohnt, sich nun in den Wahlkampf zu stürzen.“ Als Seehofer sagt, man habe in der Union „die Diskussionen immer in persönlichem Respekt und ohne Herabsetzung geführt“, regt sich in Merkels Gesicht nicht der kleinste Muskel.

Dass er dem CSU-Vorstand am Ende doch empfohlen hat, Merkels Kandidatur zu unterstützen, begründet Seehofer so: „Wir haben eine vorzügliche Kanzlerin, Deutschland steht nach innen und in den internationalen Beziehungen blendend da, und was Europa betrifft, so genießt sie von uns und der Bevölkerung sehr hohes Vertrauen, dass deutsche Interessen zur Geltung gebracht werden.“ Und: Es brauche Stabilität in einer „Welt im Umbruch“.

Der Gipfel des neuen Seehofer'schen Kompliment-Kurses besteht darin, dass ausgerechnet er, der Merkel noch im November beim CSU-Parteitag nicht sehen wollte und dessen Partei sich immer noch dagegen sperrt, im Wahlkampf Merkel-Plakate aufzuhängen, die Spitzenkandidatin zu gemeinsamen Wahlkampfauftritten in Bayern einlädt. „Eine Wende wie diese“, knurrt ein hochrangiger CDU-Politiker draußen, „muss er den Bayern erst mal erklären.“

Es bleibt der Dissens in der Flüchtlingsfrage. Merkel sagt, bei der von Seehofer geforderten und von ihr ausgeschlossenen Obergrenze „habe ich nicht die Absicht, meine Position zu ändern. Ich befasse mich damit, wie wir die Wahl gewinnen, damit bin ich voll ausgefüllt.“ Und Seehofer sagt: „Ich bin froh, dass wir unsere Positionen gegenseitig respektieren.“

Seehofer bleibt dabei: Wenn keine Obergrenze – 200.000 Flüchtlinge pro Jahr – im nächsten Koalitionsvertrag stehe, dann werde sich die CSU nicht an der Regierung beteiligen, „das wiederhole ich aber nicht jeden Tag“. Und mit aktuell 12.000 Ankünften pro Monat bleibe Deutschland sowieso unter der Obergrenze. Er wolle nur, sagt der Ministerpräsident, ein Signal an die bayerische Bevölkerung senden, „dass wir unsere politischen Ziele weiterverfolgen“. Im Blick ist natürlich die Landtagswahl 2018, die hat Seehofer sowieso schon für wichtiger ausgegeben als die Bundestagswahl: Da geht es um das höchste Gut der CSU, die absolute Mehrheit in Bayern. Und da geht es um eine Abstimmung über Seehofers persönliches Lebenswerk.

Ein gemeinsames Wahlprogramm wollen die Unionsschwestern erst erarbeiten; es müsse „zeitnah“ zu den Wahlen am 24. September vorgestellt werden, sagt Seehofer, „im Februar hat das noch keinen Sinn“. Und so gibt es zum Abschluss des Münchner Zukunftstreffens nur ein vierseitiges Papier, worin der Wille festgehalten ist, gemeinsam als Union „stärkste politische Kraft zu werden und die Bundesregierung zu bilden“. Und der Wirbelwind Martin Schulz, der auf sozialdemokratischer Seite die politische Szenerie rasanter verändert hat, als die Unionsparteien das für möglich gehalten hätten? Merkel sagt: „Ich habe noch bei jedem Wahlkampf meine Herausforderer ernst genommen. Das gilt auch diesmal.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.02.2017)

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