Angela Merkel als Anti-Trump: Die Chance der Kanzlerin

Die Regierungschefin geht als Favoritin in ein Wahljahr der Unwägbarkeiten. Sie wird sich zum Ruhepol inmitten weltpolitischer Turbulenzen stilisieren.

Es kam, wie es kommen musste. Trotz all des Brimboriums, des Theaterdonners und der Drohungen wegen der fundamentalen Differenzen in der Flüchtlingspolitik, einer Politik der permanenten Nadelstiche der bayerischen Parteifreunde gegen die Kanzlerin in Berlin, mühten sich CSU-Chef Horst Seehofer und Angela Merkel um ein Bild der Eintracht bei der Nominierung der CDU-Vorsitzenden zur Kanzlerkandidatin der Union im Franz-Josef-Strauß-Haus in München. Nach den Demütigungen und der Brüskierung auf offener Bühne beim CSU-Parteitag im November 2015 hatte sich Merkel in die Höhle des Löwen gewagt. Doch der bajuwarische Löwe brüllte nicht, sondern schnurrte eher kleinlaut wie ein Kätzchen.

Was blieb dem CSU-Patriarchen auch anderes übrig? Sollte Seehofer den Alleingang antreten und damit die Spaltung der Union und die Schrumpfung der CSU zu einer bloßen Regionalpartei riskieren? Inhaltlich haben sich die Positionen der Schwesterparteien in der Flüchtlingsfrage ungeachtet der rhetorischen Nuancen ohnehin längst angenähert. Es bleiben indes eine gewisse Zerrüttung an der Parteibasis und ein Misstrauen von CSU-Wählern gegenüber der „Wir schaffen das“-Kanzlerin zurück. Seehofer und seine Mitstreiter werden unter vollem Einsatz den Propagandaapparat mobilisieren müssen, um die verbreitete Skepsis zu überwinden.

Heiß gegen kühl, Newcomer gegen Veteranin, Dampfplauderer gegen pragmatische Machtpolitikerin, EU-Expertise gegen Regierungskompetenz auf breiter Ebene: So lautet die Ausgangslage für das Duell des Außenseiters, Martin Schulz, gegen die Favoritin, Angela Merkel. Der Höhenflug der SPD in den Umfragen nach der überraschenden Kür des Kanzlerkandidaten Schulz, die Selbstberauschung der Sozialdemokraten angesichts dieses jüngsten Coups, die Euphorie und der entfesselte Kampfgeist in Funktionärskreisen und in den Reihen der Stammwähler haben in den Parteizentralen von CDU/CSU doch eine leichte Nervosität ausgelöst. Sie hatten den Wahlkampf ganz auf Sigmar Gabriel, eine berechenbare Größe, ausgerichtet – und waren recht siegesgewiss.

Mit einer emotional aufgeladenen, bürgernahen Kampagne, mit erbitterten, leidenschaftlich geführten TV-Debatten könnte Schulz für Furore sorgen – im Positiven wie im Negativen. Ein erstes Fazit, inwieweit der Schulz-Effekt die Sozialdemokraten beflügelt, wird sich freilich erst nach den Testwahlen im Saarland, in Schleswig-Holstein und vor allem in Nordrhein-Westfalen – dem SPD-Stammland – im Frühjahr ziehen lassen. Dann wird sich herausstellen, ob sich der SPD-Spitzenmann als Eintagsfliege entpuppt und wie groß der Verdruss über Merkel tatsächlich ist. Sind die Deutschen ihrer Regierungschefin nach zwölf Jahren so überdrüssig, wie sie es am Ende der Ära Adenauers oder Kohls waren?


Bis zur Bundestagswahl am 24. September sind es noch mehr als sieben Monate. Kaum je war die Stimmungslage so volatil, und sie hängt von heute noch unwägbaren, zumal externen Faktoren ab. Denn nüchtern betrachtet gibt es keinen Grund für einen Wechsel an der Regierungsspitze in Berlin. Wirtschaftlich floriert Deutschland wie kein anderer Staat in der EU, souverän spielt es die politische Führungsrolle in einem labilen und fragilen Europa – beneidet, mitunter angefeindet und doch unangefochten.

Die Flüchtlingskrise im Land hat sich ein wenig beruhigt, eine neue Eskalation oder ein Attentat könnte den Volkszorn gegen die Regierung und den rechtspopulistischen Furor indes neuerlich anstacheln. Davon würde die AfD profitieren, sofern sie sich nicht wegen interner Spannungen in der Parteiführung selbst sprengt. Ein Triumph der Rechtspopulisten bei den Wahlen in den Niederlanden und in Frankreich könnte indessen just der Kanzlerin zugutekommen – als personifizierte Konstanz und als Ruhepol inmitten weltpolitischer Turbulenzen und Anti-Trump-Ressentiments. Auf großer Bühne wird Merkel, zur Führerin der westlichen Welt stilisiert, als Inbegriff rationaler Politik dem US-Präsidenten im Frühjahr beim Nato-Gipfel in Brüssel und dem G20-Treffen in Hamburg entgegentreten. Darin liegt eine große Chance. Die Deutschen wird das – Schulz hin, Schulz her – nicht unbeeindruckt lassen.

E-Mails an:thomas.vieregge@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.02.2017)

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