Angela Merkel ist doch nicht unbesiegbar. Das weiß die SPD, seit Martin Schulz an ihrer Spitze steht. Die Partei darf sich wieder Hoffnungen auf das Kanzleramt machen. Wenn auch keine großen.
Berlin. Es gibt nicht viele Parteien in Europa, die sich den Luxus eines monatelangen internen Streits leisten können. Als die Querschüsse der CSU gegen Angela Merkels Flüchtlingspolitik im Herbst einen neuen Höhepunkt erreichten, fiel die Union zwar in den Umfragen zurück, lag aber immer noch zehn Prozentpunkte vor der SPD. Nichts, so schien es, kann die Kanzlerin ernsthaft in Gefahr bringen. Nicht einmal Horst Seehofer, der CSU-Chef.
Doch die Zeiten haben sich geändert. Seit Sigmar Gabriel Platz für Martin Schulz gemacht hat, darf sich die SPD wieder Chancen gegen Merkel ausrechnen. Im ARD-„Deutschlandtrend“ machte sie einen Sprung um acht Prozentpunkte auf 28 Prozent. Die Union kommt auf 34. Bei Emnid (für „Bild“) verringerte die SPD ihren Abstand zur Union binnen einer Woche von 14 auf vier Prozentpunkte. Demnach steht es jetzt 29 zu 33 Prozent. So nah beieinander lagen die Regierungsparteien zuletzt im Juli 2012. Das Institut Insa sah die Sozialdemokraten am Montag mit 31 Prozent sogar erstmals einen Prozentpunkt vor der Union.
Schulz ist auch der erste Sozialdemokrat, der Merkel im Kanzlervergleich schlägt – noch dazu deutlich. Bei einer Direktwahl würden ihm derzeit 50 Prozent ihre Stimme geben, Merkel nur 34. Das ist weder Frank-Walter Steinmeier im Wahlkampf 2009 noch Peer Steinbrück im Wahlkampf 2013 gelungen. Von Sigmar Gabriel ganz zu schweigen. Kann Schulz also gegen Merkel gewinnen?
Er könnte ihr zumindest gefährlich werden. Bisher hat Merkel ihre Gegner mit einer Strategie geschlagen, die Experten „asymmetrische Demobilisierung“ nennen: Die gegnerischen Wähler einschläfern, die eigenen mobilisieren. 2013 ging die Wahlbeteiligung runter, das Unionsergebnis auf 41,5 Prozent rauf.
Eine „Sie kennen mich“-Kampagne wird dieses Mal aber nicht ausreichen. Allein die Themen – Flüchtlinge, EU-Krise, islamistischer Terror, Donald Trump – und eine neue Konkurrenz namens AfD werden der Kanzlerin keinen Wohlfühlwahlkampf bescheren. Erschwerend kommt hinzu, dass Schulz offenbar in der Lage ist, frustrierte SPD-Wähler zurückzuholen. Und zwar auch von der Union.
Der 61-Jährige inszeniert sich als deutsche Version des amerikanischen Traums: ein Mann aus einfachen Verhältnissen, der eine zweite Chance bekam, nachdem er die Schule geschmissen hatte und dem Alkohol verfallen war. Der seine Allgemeinbildung aus Büchern hat. Und der die Alltagssorgen der Menschen aus der Praxis kennt. Immerhin sei er vor seiner EU-Karriere elf Jahre Bürgermeister der Kleinstadt Würselen gewesen.
Zudem hat Schulz den Vorteil, dass er nie Teil der Bundesregierung war. So wirkt er innenpolitisch unverbraucht und glaubwürdig in seiner Kritik an Merkel. Auch auf Diplomatie muss er keine Rücksicht nehmen. Den US-Präsidenten nannte er am Wochenende niederträchtig. Die Kanzlerin könnte sich das nicht erlauben.
In der Union hat sich etwas Nervosität breitgemacht. Allerdings gehen Merkels Strategen davon aus, dass der Schulz-Effekt bald wieder verpufft sein wird, weil er sich aus dem Nimbus des Neuen speist. Bis zur Wahl am 24. September sind es noch acht Monate. Und die Kanzlerin hat die Wahlkampfarena erst am Montag betreten, als sie in München die Versöhnung mit Seehofer zelebrierte.
Linke Mehrheit gegen Merkel?
Merkel hat den Vorteil, dass sie als Kanzlerin permanent in der Öffentlichkeit steht, während Schulz – abgesehen von Würselen – noch nie Regierungsverantwortung übernommen hat. Noch weiß niemand, wofür er steht. Im Wahlkampf wird er wohl ein wenig den Klassenkampf schüren, obwohl er nie ein Linker war. Auf EU-Ebene hat er Merkels Politik im Wesentlichen mitgetragen und manchmal sogar geholfen, Mehrheiten dafür zu beschaffen. Daran wird ihn die Union sicher erinnern.
Die Kanzlerin ist nach wie vor populär in Deutschland. Und auch die internationale Lage spricht eher für sie. Innenpolitisch sind Trump, Putin, Erdoğan und Le Pen womöglich sogar eine Wahlkampfhilfe für Merkel, da sie als letzter Stabilitätsanker des Westens gesehen wird. Die allgemeine Verunsicherung könnte dazu führen, dass viele Wähler, die bisher wenig mit der Union zu tun haben wollten, dieses Mal Schwarz wählen. Wegen Merkel.
Will Schulz Kanzler werden, muss er wohl auf die rot-rot-grüne Karte setzen. Mit einer stärkeren SPD könnte sich eine linke Mehrheit gegen die Union ausgehen. Allerdings sind die Grünen in der Koalitionsfrage gespalten. Ein Teil der Partei tendiert nämlich zu Merkel.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.02.2017)