„Kölle alaaf“: Der Karneval in Köln mit seinen Büttenreden und Paraden hat Kultcharakter.
Mit Brimborium zelebrieren die Jecken in Köln den Auftakt des Karnevals am 11. November, und selbst Zugereiste wie Peter Stöger können sich dem Rummel nicht entziehen. Der Wiener Trainer des 1. FC Köln präsentierte sich im ersten Jahr rustikal in Lederhose. Wer nicht als Spielverderber gelten will, schunkelt und trällert mit – zu „Kölle alaaf“, dem Schlachtruf des Frohsinns, oder zu „Viva Colonia“, der Hymne der Kultband Höhner über die Rheinmetropole, die sich nicht nur im Karneval als nördlichste Stadt Italiens begreift.
All das ist nur ein Vorgeschmack auf den Höhepunkt, die „fünfte Jahreszeit“ im Rheinland zwischen Weiberfastnacht am Donnerstag und dem jähen Ende des anarchischen Ausnahmezustands in der Nacht zum Aschermittwoch. Das Kölsch fließt in Strömen, in den Kneipen fallen fast alle Schranken, wenn Frauen auf Krawattenjagd gehen und sich ein „Bützchen“, ein Küsschen, auf die Wange drücken lassen. Im Vorjahr war es nach den Übergriffen zu Silvester allerdings gesitteter zugegangen, und nach dem Attentat auf den Weihnachtsmarkt in Berlin steht heuer ein Großaufgebot der Polizei bereit.
Ein Rheinländer wäre kein Rheinländer, wenn er sich deshalb die Laune verdrießen lassen würde: „Et kütt, wie et kütt“ und „Et hätt noch emmer joot jejange“ bringen die Mentalität auf den Punkt. Exilrheinländer in Berlin oder Hamburg kribbelt es in Bauch und Beinen, und es zieht sie zurück in die Heimat, zu den Büttenreden und Paraden, den Karnevalssitzungen samt Dreigestirn und Funkenmariechen und den Straßenumzügen mit einer Unmenge an Kamellen, die von den Wagen unters ausgelassene Volk gestreut werden.
Am Rosenmontag, wenn die Parole „D'r Zoch kütt“ („Der Zug kommt“) durch die Straßen hallt, strömen eine Million Menschen in der Altstadt zusammen. Die Pappfiguren persiflieren – unvermeidlich – Donald Trump auf der Schulbank, Angela Merkel als auf dem Rücken liegender Käfer und halb nackte EU-Politiker unter dem Schock des Brexit-Votums. Das närrische Treiben wurzelt auch in der Lust, Dampf abzulassen und der Obrigkeit in Kirche und Staat einmal die Meinung zu sagen. In Köln treibt allein schon die Erwähnung des Erzrivalen Düsseldorf die Karnevalisten zu Gejohle. Dabei ist der Kölner Karneval eine ernste Sache und der Aufwand, der in Vorbereitung und Planung der kollektiven Heiterkeit geht, enorm.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.02.2017)