Millionen kommen in die Lagunenstadt an der Adria, während die Einheimischen lieber flüchten.
Dichtes Gedränge in den Gassen, dichtes Gedränge auf den Plätzen: Alle Jahre wieder zeigt sich zur Faschingszeit ein ähnliches Bild aus Venedig. Opulente Barockroben, Harlekine, filigrane Masken, aber in erster Linie unverkleidete Touristen und Schaulustige, die für eine überfüllte Stadt sorgen. Millionen Menschen wollen sich den weltberühmten Karneval von Venedig mit all den Maskenbällen, Gondelparaden und Feuerwerken nicht entgehen lassen. Besonders an diesem Wochenende, dem Höhepunkt der Feierlichkeiten, herrscht buntes Treiben – und Massengedränge – zwischen den Kanälen.
Begonnen hat der Karneval in Venedig mit dem traditionellen „Volo dell'Angelo“ (Engelsflug) vergangenen Sonntag. An einem Seil gesichert schwebte Karnevalskönigin Claudia Marchiori im lilafarbenen Rüschenkleid mit Engelsflügeln in Orange vom 99 Meter hohen Glockenturm herab auf den Markusplatz. Am Samstag war eine Meereskönigin samt Gefolge aus fantastischen Seekreaturen aus dem Canale di Cannaregio gestiegen, während sich maskierte Menschen auf den Plätzen und in den Straßen der Lagunenstadt versammelten.
Das Spektakel dauert bis Faschingsdienstag. Und bis dahin werden Millionen Menschen nach Venedig gepilgert sein. Täglich strömen derzeit rund 130.000 ins historische Zentrum der Stadt, das nur rund 55.000 Einwohner hat. Alle Jahre wieder wird zur Faschingszeit laut über eine Beschränkung des Zugangs für Touristen nachgedacht. Zuletzt äußerte sich dazu der Präsident der Region Venetien, Luca Zaia. Venedig mit seinen historischen Bauten könne nicht mehr als eine bestimmte Zahl an Besuchern aushalten. Touristen sollten den Zutritt kostenlos erhalten, müssten aber reservieren.
Theater für Touristen. Der Karneval in Venedig sei ohnehin nur eine Touristenattraktion, kaum ein Venezianer nehme daran teil, ist immer wieder zu hören. Die Einheimischen würden dieser Tage scharenweise aus der Stadt und vor den fremden Besucherströmen flüchten. Der Karneval sei nur Theater und erfunden worden, um den Touristen in einer einst umsatzschwachen Zeit etwas bieten zu können, meinen die Kritiker. Venedig-Besucher sind jedenfalls vom Spektakel angetan und füllen in der Zeit bis Aschermittwoch die Kassen der Stadt.
Die alte Pracht des Karnevals ist Venedig tatsächlich vor rund 200 Jahren abhandengekommen: Während seiner Blütezeit im 18. Jahrhundert standen ausschweifende Feste, Maskeraden, Theatervorstellungen und andere Lustbarkeiten an der Tagesordnung. Die Fürstenhöfe wollten ihre Macht und ihren Prunk eindrucksvoll inszenieren.
Am folgenden, zumindest zeitweisen Niedergang des opulenten Karnevals sind übrigens auch die Österreicher schuld: Nachdem Venedig Ende des 18. Jahrhunderts den Habsburgern zugefallen war, begann der wirtschaftliche Niedergang. Die Zeit des frivolen Feierns war vorbei. Erst Ende der 1970er-Jahre wurden alte Traditionen wiederentdeckt und der Karneval im großen Stil wiederbelebt – auch dank des Theater- und Filmregisseurs Federico Fellini, der mit seinem Film „Casanova“ für Furore sorgte.
ZAHLEN
Mindestens 55.000 Menschen wohnen aktuell im historischen Zentrum von Venedig.
Rund 130.000 Besucher strömen derzeit anlässlich des Karnevals in die Altstadt. Die meisten Bewohner dort ergreifen mittlerweile angeblich die Flucht, weil sie den Trubel nicht aushalten.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.02.2017)