Schnaps, Schweiß und Samba

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RIO DE JANEIRO RJ 25 02 2017 DESFILES DE CARNAVAL RIO DE JANEIRO 2017 South Zone joy during th(c) imago/Fotoarena (imago stock&people)
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Der traditionelle Karnevalexzess in Rio de Janeiro stößt dem neuen Bürgermeister auf.

Rio hat schon viel erlebt in den mehr als fünf Jahrhunderten seiner Stadtgeschichte. Könige, Sklavenmärkte, das meistbesuchte Fußballmatch der Weltgeschichte, das „Girl from Ipanema“ sowie, gerade erst, die Olympischen Spiele. Und natürlich, bisher 84 Mal Karneval, diesen Exzess, in dem sich die sommerschwüle Tropenschönheit alljährlich von Sinnen tanzt, säuft und hurt. Für einen prüden Pastor aus einer Pfingstkirche müssen die animalischen Umtriebe im Dauerdunst von Schnaps, Schweiß und Samba eine veritable Vorhölle darstellen.

Aber nun ist es ausgerechnet ein prüder Pastor aus einer Pfingstkirche, der Rio de Janeiro seit Neujahr als Bürgermeister regiert. Marcelo Crivella, Stichwahl-Sieger im November mit 59 Prozent, in dessen CV Tätigkeiten wie Prediger, Gospelsänger und Missionar verzeichnet sind, hat stets seine Abscheu vor dem alljährlichen Absturz bekundet. Allerdings hatte er im Wahlkampf feierlich gelobt, Rios Brauchtum wie die jährliche Gay-Parade und den „carnaval“ nicht anzutasten.

Zur Tradition seiner Stadt gehört eigentlich auch jene Prozedur, die das formelle Startsignal für das Spektakel darstellt. Am Freitagabend vor dem Faschingswochenende überreicht der „prefeito“ einen riesigen Schlüssel, an den „König Momo“, den blechgekrönten Herrscher über den kollektiven Kontrollverlust.

Vorherige Bürgermeister wie Crivellas Vorgänger, Eduardo Paes, haben diesen zeitlich begrenzten Machtverzicht stets deutlich sichtbar genossen. Nun ist Paes ebenso Geschichte wie die Olympischen Spiele, die ihm allerhand Ärger mit der Justiz eingebracht haben, ebenso wie dem vormaligen Gouverneur, Sérgio Cabral, der nun den Karneval via TV verfolgen kann – aus der Haftanstalt, die er seit November bewohnt. Er soll, auch an der Ringe-Sause, kräftig mitgeschnitten haben, laut Anklage etwa 70 Millionen Euro.


Vergebliches Warten. Es war die Gier der Eliten, die bewirkte, dass der Sündenpfuhl Rio einen Mann ins Rathaus wählte, dessen Onkel 1977 die „Universalkirche des Königreichs Gottes“ gründete, eine der – auch ökonomisch – erfolgreichsten protestantischen Freikirchen des immer noch größten katholischen Landes. Vor allem die Armen gaben dem Gottesmann ihre Stimme, nachdem sie sich von der korruptionszerfressenen Arbeiterpartei abwandten. Schon Wochen vor dem entscheidenden Freitag fragte sich ganz Rio, ob Crivella nicht doch noch seine protestantische Prinzipienreiterei aufgibt und die Prozedur mit der traditionellen Schlüsselübergabe hinter sich bringt. Schließlich ist der Karneval ein riesiger Wirtschaftsfaktor in der Metropole, deren Polizisten, Krankenpfleger und Lehrer nur noch unregelmäßig bezahlt werden.

Alle Medien versuchten, im Rathaus eine Antwort zu bekommen, und alle scheiterten. Als am Freitagnachmittag immer noch nicht klar war, ob der Schlüsselakt denn stattfände, marschierten die Karnevalszüge auf den Hügeln los, auch ohne das traditionelle Startsignal. Die Organisatoren in weißer Sambakleidung, Stelzenläufer und die städtische Blaskappelle warteten vergeblich. Am Ende war es die Kulturstadträtin, die, anderthalb Stunden verspätet, den Schlüssel an den Karnevals-König übergab. Der Bürgermeister sagte ab, er ließ ausrichten, seine Frau habe gesundheitliche Probleme bekommen. Er verriet jedoch nicht, ob der Karneval dieses Unwohlsein auslöste.

Fakten

Offiziell hat der Karneval in Rio de Janeiro am Freitagabend begonnen. Etwas mehr als eine Million Touristen werden bis zum Ende des Karnevals am Dienstag erwartet. Es wird rund 450 Umzüge geben.

Der Karneval wird in Brasilien landesweit gefeiert. Aus Sorge um die Sicherheit und wegen Geldmangels wurden die Feiern in diesem Jahr aber in mindestens 37 Städten abgesagt. Hintergrund ist unter anderem ein Streik der Polizei.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.02.2017)

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