Die Kämmerer auf Schlankheitskur

Freude durch Harmonie: Präsident Leitl (r.) und SPÖ-Wirtschaftsverband-Chef Matznetter sind sich bei der Kammerreform einig.
Freude durch Harmonie: Präsident Leitl (r.) und SPÖ-Wirtschaftsverband-Chef Matznetter sind sich bei der Kammerreform einig.(c) APA/HELMUT FOHRINGER (HELMUT FOHRINGER)
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Die Wirtschaftskammer plant ab 2019 sanfte Einsparungen und um 15 Prozent weniger Zwangsbeiträge. Zu einem guten Teil erstattet sie damit aber nur frühere Erhöhungen zurück.

Wien. Christoph Leitl ist etwas aufgefallen: Die Wirtschaftskammer, deren Präsident er seit der Jahrtausendwende ist, fordert von der Regierung gebetsmühlenartig eine Senkung der Lohnnebenkosten. Was die Interessensvertretung von ihren Pflichtmitgliedern an Beiträgen einfordert, ist aber zu einem guten Teil nichts anderes. Und während die Kammer vehement eine steuerliche Entlastung von Investitionen fordert, entlastet sie selbst investierende Unternehmen nicht. „Da blattelt uns jeder Kritiker auf“, gesteht Leitl nun freimütig ein. Und startet deshalb, in der Abenddämmerung seiner Amtszeit, eine Kammerreform.

Um 15 Prozent sollen die Zwangsbeiträge sinken. Das entspricht 100 Mio. Euro pro Jahr. Darüber muss das Kammerparlament im April entscheiden. Die meisten Fraktionen sind mit im Boot, nur die Grünen blieben der Präsentation fern. Über die Senkung freuen dürfen sich die Unternehmen aber erst ab 1. 1. 2019. Denn so lange braucht die Organisation, um sich zu überlegen, wo sie entsprechend einsparen kann.

Die Senkungen betreffen verschiedene Bereiche, die für WKO-Kritiker ein rotes Tuch sind:
?Wenn eine Firma bei mehreren Fachgruppen Mitglied sein muss, zahlt sie künftig nur mehr einmal die Grundumlage. Auch das doppelte Abkassieren bei einer Kapitalgesellschaft soll wegfallen.
?Die Kammerumlage zwei, die sich auf Basis der Lohnsumme berechnet, sinkt um fünf Prozent. ?Großzahler werden durch einen degressiven Tarif bei der Kammerumlage eins (auf Umsatzbasis) mit zehn bis 15 Prozent entlastet. Traditionell schultern die Großen den Löwenanteil der Beiträge. Diese Solidarität mit den Kleinen, so die neue Einsicht, habe man zu weit getrieben. Ein Konzern wie die Voest spart sich durch die Reform rund eine Mio. Euro im Jahr.
?Investitionen dürfen die Firmen von ihren Beiträgen abziehen. Gründer zahlen im ersten Jahr keine Grundumlage, womit sich ein Start-up 200 bis 300 Euro erspart.
?20 Mio. Euro kostet die Kammer die neue Gewerbeordnung, weil sie bald für weniger Gewerbescheine kassieren kann. Ein Fünftel der Entlastung ist also nicht ganz freiwillig und hausgemacht.

Die gesamte Einsparung soll mit 20 Prozent höher sein als die Entlastung, weil auch neue Leistungen zu finanzieren sind. So sollen die Außenhandelsstellen künftig auch „Innovationsagenturen“ sein, die Kooperationen mit bedeutenden Forschungsstellen wie der ETH Zürich oder dem amerikanischen MIT auf die Beine stellen.

Auch wenn die Gegenfinanzierung im Detail noch offen ist: Fest steht für die WKO-Granden schon, wie weit die Reform nicht gehen darf. Kündigungen soll es unter den 4600 Mitarbeitern keine geben, es werden nur frei werdende Stellen nicht nachbesetzt.

Aus dem Vollen geschöpft

Bei den Fachgruppen dürften wohl einige wegfallen. Sakrosankt bleibt aber die föderale Struktur mit den neun Landesorganisationen. Allerdings sollen sie besser zusammenarbeiten und sich spezialisieren: Statt dass wie bisher jede alles macht, übernimmt künftig jede bestimmte Aufgaben für die anderen. „Netzwerk- statt Kastldenken“ heißt das dann. Besonders viel Einsparungspotenzial scheint es bei der auch sehr föderal-disparaten IT zu geben. Nur deshalb stellt Leitl seine Pläne unter das Schlagwort „WKO 4.0“ – Roboter statt Funktionäre sind nicht geplant.

Es ist die erste größere Kammerreform seit jener von 2000, die schon unter Leitls Ägide stattfand. Aber wie ehrgeizig ist sie wirklich? Die Kämmerer können aus dem Vollen schöpfen: Sie sitzen auf Rücklagen in der Höhe von 670 Mio. Euro. Im letzten Jahr nahmen sie 830 Mio. Euro ein – zu den Zwangsbeiträgen von 670 Mio. kommen noch 160 Mio. an Umsatzerlösen, wie etwa Mieten für Messeauftritte am WKO-Stand oder die Ausstellung von Ursprungszeugnissen. Zwang zum Sparen bestand schon lange nicht mehr: Weil die meisten Beiträge an Umsätze oder Lohnsummen gebunden sind, steigen sie nicht nur mit der Inflation, sondern auch mit der Wirtschaftsleistung und der Produktivität der Unternehmen. Während sie nach „Presse“-Berechnungen seit 2004 um fast 34 Prozent gestiegen sind, betrug die Teuerung in diesem Zeitraum nur gut 25 Prozent. Macht dann ein reales Plus von über acht Prozentpunkten.

Es ist also ein wenig wie mit der kalten Progression: Ein guter Teil der Beitragssenkung ist nur eine Rückerstattung dessen, was die Kammer ihren Mitgliedern seit der letzen Reform „automatisch“ mehr abverlangt hat.

AUF EINEN BLICK

Die Wirtschaftskammer senkt ihre Beiträge ab 2019 um 15 Prozent. Die Entlastungen ziehen sich durch alle Bereiche: die Kammerumlage eins auf Vorsteuerumsatzbasis (200 Mio.), die Kammerumlage zwei auf Lohnsummenbasis (300 Mio.) und die Grundumlage (160 Mio.). Weil auch einige neue Leistungen dazukommen, sind in Summe Einsparungen von 134 Mio. Euro nötig. Kündigungen soll es aber keine geben, es sollen nur frei werdende Posten nicht nachbesetzt werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.03.2017)

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