Die Würde des „Verteidigungskrieges“ ist unantastbar

Verehrer von Exgeneral Ante Gotovina.
Verehrer von Exgeneral Ante Gotovina.(c) AP (Filip Horvat)
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Ein Gespräch mit dem Historiker Alojz Ivanisevic über Kroatiens Umgang mit der Vergangenheit und die Problematik der fehlenden Aufarbeitung.

Flammen lodern an der überlebensgroßen Frauenfigur empor, ein gleißender Feuerschein umspielt den Kopf und das kurze, blonde Haar. Mit viel Liebe zum Detail war sie modelliert worden – einzig zu dem Zweck, auf einem improvisierten Scheiterhaufen verbrannt zu werden.

Die Figur stellt Carla del Ponte dar, die einstige Chefanklägerin des Haager Kriegsverbrechertribunals für die Länder des ehemaligen Jugoslawien. Es ist Fasching, doch als simpler Scherz sollte dieses nationalistische Autodafé in einer Kleinstadt nahe Split im Jahr 2005 wohl nicht verstanden werden.

Die forsche Anklägerin – auch bei den Nationalisten des ehemaligen Kriegsgegners Serbien nahm sie den Ehrenplatz der obersten Unperson ein – hatte es gewagt, am Mythos des „sauberen Verteidigungskrieges“ zu kratzen: Sie verlangte die Verhaftung mehrerer kroatischer Generäle – und bekam diese nach einem langen Tauziehen und vielen Interventionen seitens der EU auch geliefert.

Die Anklage lastet ihnen die Ermordung von 150 und die Vertreibung von 150.000 bis 200.000 Serben an, begangen in der Operation „Sturm“. Damals, im August 1995, waren die letzten serbisch besetzen Gebiete Kroatiens in wenigen Tagen zurückerobert worden.

Krieg ohne Verbrechen?

Besonders General Ante Gotovina, heute der prominenteste kroatische Angeklagte in Den Haag, wird dafür als Held verehrt. Für nationalistische Kreise schließt schon das Etikett „Verteidigungskrieg“ aus, dass in diesem Zusammenhang Verbrechen verübt werden konnten; sie treten an, die „Würde des Heimatkrieges“ zu retten.

Andere Interpretationen gelten ihnen als Verrat. „Dass überhaupt keine Verbrechen geschehen sind beziehungsweise in einem Verteidigungskrieg gerechtfertigt gewesen seien, ist heute aber nur mehr in extrem nationalistischen Kreisen verbreitet“, konstatiert Alojz Ivanisevic, Professor am Institut für Osteuropäische Geschichte der Universität Wien.

Dennoch fällt sein Resümee, was die Vergangenheitsaufarbeitung in Kroatien anbelangt, nicht wirklich positiv aus: „Bei einigen politischen Akteuren ist der Wille da, aber die Strömung, die sich mit der Vergangenheit selbstkritisch auseinandersetzt, ist sicher nicht der Mainstream.“

Nicht aufgearbeitete Massaker

Und da geht es nicht nur um 1995, da geht es vor allem auch um die Zeit des faschistischen Usta?a-Regimes, das Adolf Hitlers Rassenwahn im „Unabhängigen Staat Kroatien“ in die Tat umgesetzt hat. Und es geht um die Massaker, die die Tito-Partisanen Ende des Zweiten Weltkriegs an Ustasa-Leuten, aber auch an Zivilisten verübt haben – Stichwort Bleiburg. Wenn schon Vergangenheit aufgearbeitet werden soll, dann haben Rechtsnationalisten und jene, die aus der alten KP kommen, genaue Vorstellungen, worum es gehen soll: um die Verbrechen der anderen Seite.

Christlicher Patriotismus

Betrachtet man das Ustasa-Regime, so gerät auch die Verstrickung der katholischen Kirche ins Blickfeld. Unter der Oberfläche des kommunistischen Jugoslawien hat sich da offenbar eine gewisse Nähe in die Gegenwart des kroatischen Staates herübergerettet.

Nicht nur, dass sich hohe Kirchenvertreter bis heute scheuen, dieses Regime zu verurteilen – und der kroatische Erzbischof Bozanic seinen Besuch im einstigen Konzentrationslager Jasenovac zwar für eine Abrechnung mit Tito genutzt habe, auf die jüdischen und serbischen Opfer des kroatischen Faschismus aber nicht weiter eingegangen sei, wie Ivanisevic erklärt: „Viele Priester kokettieren mit der Ustasa-Ideologie, die sich in einem extremen Antikommunismus und Antiliberalismus äußert. Auch einige Bischöfe haben keine Berührungsängste mit dieser Ideologie, die sie zum ,christlichen Patriotismus‘ umgetauft haben.“

In dieser Denkweise war es nicht nur möglich, Bleiburg zum „Kreuzweg des kroatischen Volkes“ umzudeuten. Auch der „Heimatkrieg“ der Neunzigerjahre wurde, wie Ivanisevic es nennt, von der katholischen Kirchenführung des Landes „quasi kanonisiert“.

Heute präsentiere sich die Kirche als Verteidigerin kroatischer Nationalinteressen. Oder dessen, was sie dafür hält. Die kroatische Bischofskonferenz wetterte etwa massiv gegen ein Abkommen zur Beendigung des Grenzstreites mit Slowenien, das gerade im Lichte der EU-Ambitionen Zagrebs so essenziell ist.

Tito-Nostalgie nur schwach

Auf der anderen Seite des politischen Spektrums will man sich wiederum nicht mit den historisch ebenso gut wie die Ustasa-Verbrechen belegten Massakern der Partisanen auseinandersetzen: „Der ,Nationale Befreiungskampf‘ (unter der Führung Titos, Anm.) ist hier das Unantastbare“, findet Historiker Ivanisevic eine Parallele, anhand derer sich zeigt, wie die Muster und Begriffe einander ähneln. Tatsächlich stellt der Historiker sogar „in dieser Hinsicht eine Kontinuität zum ,Heimatkrieg‘ der Neunzigerjahre fest.

Und die Tito-Nostalgie? Ist im Gegensatz zu anderen Nachfolgestaaten Exjugoslawiens ausgerechnet in der kroatischen Heimat des Kommunistenführers nicht besonders stark ausgeprägt. Wer die sucht, reist noch immer besser nach Serbien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.11.2009)

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