Wie eine böse Gleichung fast eine ganze Klasse zu Fall brachte.
Da Tschernobyl damals noch nicht so wahnsinnig lang zurückgelegen war, sprachen wir in diesem sonnigen Vorarlberger Juni 1988 vom Super-GAU: Bei der Mathematikmatura an unserem Borg im Oberland waren von 22 Leuten meiner Klasse, Schwerpunkt Naturwissenschaft und Technik, 19 oder 20 durchgerasselt.
Bumm! Riesenwirbel! Unmöglich! So übel konnten wir echt nicht sein, die Fleckquote in Mathe war stets moderat gewesen. Da stank etwas gewaltig an der Wurzel – auch, weil eine der Aufgaben, eine Schlussrechnung mit fünf Unbekannten in der Gleichung, von wirklich keinem gelöst worden war.
Am Abend feierten wir am Alten Rhein ein wüstes Fest, hörten Hosen und Toy Dolls, fluchten über den jungen Mathelehrer H., dessen erste Maturaklasse wir übrigens waren, drohten ihm Kegelschnitte (Achtung: Mathematiker-Schmäh) und sonst so allerhand an und sahen drüben am Schweizer Ufer mit der Sonne schon unsere Maturawelt untergehen, als ein Kollege in die aufgeheizte und bierschwangere Party platzte: Er hatte doch tatsächlich dieselbe Schlussrechnung in einer als Büchlein publizierten Aufgabensammlung entdeckt, aber entdeckt, dass man aus den Angaben in der Maturaversion nur drei der fünf Variablen ermitteln konnte. Der Rest fehlte – die Gleichung war folglich unlösbar. Und da diese Aufgabe allein 25 Prozent der Punkte wert gewesen war, man aber für eine positive Note >50 Prozent brauchte, kam eben nur durch, wer sonst praktisch alles richtig gehabt hatte.
Tags darauf läuteten bei den Familien der Schüler die Festnetztelefone. H. gestand. Sei ein Abschreibfehler gewesen. Die Matura wurde, angeblich ohne schlafende (Behörden)Hunde zu wecken, einige Tage später wiederholt. Jetzt kamen fast alle durch. Dieser Autor sogar mit einem Sehr gut. (Angeber!)WG
("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.05.2017)