Sammelklagen: Die gebündelte Wut der Anleger

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Sammelklagen häufen sich. Konsumentenschützer fordern Alternativen, wie etwa die Einführung der „Gruppenklage“ um die Hürde für den Einzelnen zu senken.

Wien. AWD, MEL und vielleicht demnächst auch AvW: In Österreich lassen immer mehr mutmaßlich geschädigte Anleger ihre Fälle in Form von „Sammelklagen“ verhandeln. So kündigten nun auch die Anlegeranwälte Erich Holzinger und Michael Bauer an, demnächst gegen die Kärntner Beteiligungsgesellschaft AvW mehrere Sammelklagen einbringen zu wollen, wie das „Wirtschaftsblatt“ am Donnerstag berichtete.

Bei einer Sammelklage tritt der Einzelne seine Ansprüche an einen Vertreter ab, der damit auch das Kostenrisiko übernimmt. In Österreich wird die Rolle des Vertreters häufig von der Arbeiterkammer (AK) oder vom Verein für Konsumenteninformation (VKI) übernommen. Der VKI hat bereits zwei Klagstranchen im Verfahren gegen den Finanzdienstleister AWD eingebracht. Das Handelsgericht Wien hat die Sammelklage in der vergangenen Woche für zulässig erklärt und damit wohl den Weg für einen der größten Zivilprozesse in der Geschichte der Zweiten Republik geebnet. Der endgültige Startschuss ist aber noch nicht gefallen: Der AWD will gegen den Beschluss über die Zulassung vorgehen. „Wir werden den Rekurs kommenden Mittwoch einbringen“, sagte AWD-Vertreter Christian Winternitz zur „Presse“.

Konsumentenschützer Peter Kolba, der die mutmaßlich Geschädigten vertritt, will bis Ende Jänner alle anhängigen Klagen – in Summe haben sich rund 2500Anleger angeschlossen – beim Handelsgericht einbringen. Es handelt sich dabei um eine Klagssumme von rund 30Mio. Euro. Einlenken will Kolba nur, wenn der AWD einen Verjährungsverzicht abgibt. Der VKI wirft dem Finanzdienstleister AWD systematische Fehlberatung im Zusammenhang mit Immofinanzaktien vor. Der AWD weist alle Vorwürfe von sich.

Mit Sammelklagen hat es derzeit auch die Immobiliengesellschaft Meinl European Land (MEL) zu tun. Der Prozessfinanzierer Advofin, der eigenen Angaben zufolge 8000Geschädigte vertritt, will deren Ansprüche in fünf bis sechs Sammelklagen durchsetzen. Dazu sollen 600Einzelklagen kommen. Insgesamt soll es bei MEL um einen Schaden von knapp 180Mio. Euro gehen. Der Vorwurf lautet Falschberatung. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Prozessfinanzierer tragen Risiko

Das bisher bekannteste Beispiel für eine Sammelklage in Österreich ist wohl der WEB-Bautreuhand-Skandal, der sich in den 1980er-Jahren zugetragen hat. Auch in dieser Causa organisierte der VKI eine Sammelklage für die geschädigten Anleger. Nun aber häufen sich die Sammelklagen. Nikolaus Pitkowitz, Anwalt in Wien, erklärt das zunächst mit der zunehmenden Bereitschaft der Bürger, ihr Geld in Aktien und Zertifikate anzulegen: „Der kleine Mann geht an die Börse – das ist ein Trend, der sich erst jüngst entwickelt hat.“ Dazu kommt die Wirtschaftskrise, die die Erfolge der Unternehmen dahinschmelzen lässt. „So lange die Kurse nach oben gehen, wird es keinen Schaden geben.“ Dazu kommen Prozessfinanzierer wie Advofin oder die Firma Foris, die etwa den VKI bei seiner Sammelklage unterstützt. Der Finanzierer übernimmt für den Kläger das Kostenrisiko und wird, sofern dieser erfolgreich ist, an der Schadenszahlung beteiligt. „Diese Firmen geben dem rechtssuchenden Kleinanleger eine starke Absicherung, weil er das Prozessrisiko nicht tragen muss“, so Pitkowitz. Dazu komme die Erfahrung, die die Gerichte gesammelt hätten. Als letzten Grund nennt Pitkowitz die mediale Präsenz der Verfahren: „Auch das führt dazu, dass Sammelklagen zunehmen“, so Pitkowitz.

AK fordert „Gruppenklage“

Die „Sammelklage österreichischer Prägung“, bei der jeder einzelne Geschädigte seine Ansprüche an einen Vertreter abgibt, ist Konsumentenschützern zu wenig. Sie fordern schon länger die Einführung der „Gruppenklage“. Dabei müssten Geschädigte ihre Ansprüche nicht mehr an einen Vertreter abgeben, sondern könnten gemeinsam und damit kostengünstiger gleichartige Ansprüche einklagen. „Die Hürde für den Einzelnen, eine Klage einzubringen, wäre damit wesentlich geringer“, sagt Margit Handschmann von der Arbeiterkammer (AK). Außerdem spricht Handschmann von geringeren Kosten. Einen Ministerialentwurf zur Einführung der Gruppenklage gibt es bereits, bisher scheiterte es an der Umsetzung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.11.2009)

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