Österreichs unverhofftes Sommermärchen

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Österreichs Fußballerinnen entfachen bei der EM Euphorie, der Vergleich mit Alaba und Co. ist sinnbefreit. Dem ÖFB bietet sich eine Chance – nutzt er sie?

Zahlen, heißt es, lügen nicht. 897.000 Zuschauer verfolgten im Durchschnitt das dritte EM-Gruppenspiel von Österreichs Fußballfrauen gegen Island (3:0) in ORF eins, die Spitzenwerte machten sogar 999.000 Zuschauer aus. Die Millionengrenze, das lässt sich mit Gewissheit prognostizieren, wird beim Viertelfinale am Sonntagabend geknackt.

In einem Sportjahr ohne Olympische Spiele und Fußballgroßereignis der Männer drohte der heimische Sportfan diesen Sommer in den eigenen vier Wänden mit der, pardon, überschaubar spannenden österreichischen Bundesliga und dem sich erneut, aber längst gewohnt anbahnenden Scheitern von Meister Salzburg in der Champions League vorliebnehmen zu müssen. Die heute beginnende Beachvolleyballweltmeisterschaft auf der Donauinsel sorgt zwar für erfrischende Abwechslung, sie wird aber – zumindest vor den Fernsehgeräten – keine Masseneuphorie auslösen.

Dass dieser Tage ausgerechnet Österreichs Fußballerinnen, deren Namen der breiten Öffentlichkeit vor eineinhalb Wochen im Grunde völlig unbekannt waren und vielen auch weiterhin bleiben werden, ein kleines Sommermärchen schreiben, damit war freilich nicht zu rechnen. Umso erfreulicher ist die Entwicklung dieser ersten Frauenfußball-Europameisterschaft mit österreichischer Beteiligung. Ohne die Last der Erwartungshaltung einer ganzen Nation – Stichwort EM 2016 – hantelt sich die Mannschaft des so besonnen auftretenden Teamchefs, Dominik Thalhammer, von Erfolg zu Erfolg.

Es sind im Grunde simple Tugenden wie Einsatz, Wille und Teamgeist, die dieses Team am besten charakterisieren. Kapitänin Viktoria Schnaderbeck und ihre Mitspielerinnen bestreiten diese Endrunde mit viel Demut, das bisher Erreichte kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Träume von weiteren Großtaten sind erlaubt, ja sogar erwünscht. Dass sich in sozialen Netzwerken Fans der ersten Stunde und politische Schulterklopfer in Zeiten des Wahlkampfs jetzt vermengen, liegt in der Natur der Sache. Den ÖFB-Frauen kann es dabei eigentlich egal sein, wer auf welcher Plattform in den Jubelchor miteinstimmt.

Fast jedes euphorische Facebook-Posting und jeder Tweet lenken die Aufmerksamkeit auf Österreichs Fußballerinnen und zugleich auf eine Sparte, die hierzulande erstmals in das Rampenlicht drängt. Allerdings, plump eine Gender-Debatte loszutreten und Männer- mit Frauenfußall zu vergleichen, entbehrt jeder Sinnhaftigkeit. Physische Unterschiede sind naturgegeben, dabei geht es in diesem Spiel längst nicht nur um Schnelligkeit, Sprungkraft oder darum, wer dem Ball länger hinterherlaufen kann.

Frauenfußball bringt andere, längst vergessene oder in der Entwicklung des Spiels verloren gegangene Facetten wieder zum Vorschein. Spielzüge werden durch das vergleichsweise niedrigere Tempo für Konsumenten etwas nachvollziehbarer, Ideen womöglich dadurch klarer. Auch sind die Partien längst nicht so taktikgeprägt wie bei den Männern, dadurch gewinnen sie zwangsläufig an spielerischer Note. Und: Es wird tatsächlich viel mehr Fußball gespielt. Oder haben Sie bei dieser EM schon eine Schwalbe gesehen, oder eine Spielerin, die sich nach einem harmlosen Foul mit schmerzverzerrtem Gesicht eine halbe Minute lang oder gar noch länger auf dem Rasen wälzt?


Dem Österreichischen Fußballbund (ÖFB) bietet sich innerhalb eines Jahres zum zweiten Mal die große Möglichkeit, hierzulande festgefahrene Strukturen aufzubrechen, etwas zu bewegen. Die erste Chance wurde kläglich vergeben, aus dem Erreichen der Endrunde 2016 nicht richtig Profit geschlagen. Einzig die Kartenpreise für Heimspiele von David Alaba und Co. beträchtlich zu erhöhen ist ein grotesker, folgenschwerer Ansatz. Es geht vielmehr um das Schaffen nachhaltiger Strukturen; eine international konkurrenzfähige höchste Spielklasse würde nicht nur dem Ansehen des Frauenfußballs in Österreich guttun. Sie würde wohl auch garantieren, dass Österreichs EM-Erfolg kein One-Hit-Wonder bliebe.

E-Mails an:christoph.gastinger@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.07.2017)

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