Angela Merkels Sommerhoch

Angela Merkel hat wieder Oberwasser.
Angela Merkel hat wieder Oberwasser.(c) REUTERS
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Die deutsche Kanzlerin muss bisher nicht viel für ihre Wiederwahl tun. Die SPD stolpert von Krise zu Krise – nun auch in ihrer Kaderschmiede Niedersachsen.

Berlin. Angela Merkel schwebt über den Dingen. Ein Bild zeigt sie im Sessellift irgendwo in den Südtiroler Bergen, die Wanderstöcke in der Hand. Zur selben Zeit geht es in Berlin wegen der Dieselaffäre drunter und drüber. Aber an der Kanzlerin perlt das ab. Fast mühelos wandert sie bisher durch diesen Wahlkampf. Unten, im Jammertal, kämpft sich die SPD vergeblich mit ihren Gerechtigkeitsthemen ab. Ohne Merkels Zutun, während ihres Urlaubs, wächst der Vorsprung der Union auf die Sozialdemokraten auf 15 Prozentpunkte (Emnid-Umfrage) – so groß war der Abstand zuletzt zu Zeiten des unglücklichen SPD-Chefs Sigmar Gabriel.

Merkels Beliebtheitswerte sind wieder auf Vorkrisenniveau. Es läuft. Und nun fällt der Kanzlerin auch noch die Regierungskrise in Niedersachsen in den Schoß. Zuerst brachte der Seitenwechsel einer Abgeordneten ins CDU-Lager die rot-grüne Landesregierung um ihre Ein-Stimmen-Mehrheit. Es gibt nun Neuwahlen am 15. Oktober. Dann berichtete die „Bild am Sonntag“, dass VW im Oktober 2015 eine Regierungserklärung zum Dieselskandal umgeschrieben habe. SPD-Ministerpräsident Stephan Weil hatte den Entwurf dem Autobauer vorgelegt – offiziell, um rechtliche Fragen zu klären (worüber die Regierung den Landtag und damit die Opposition auf Druck der FDP hin auch informierte). Zwar wird VW in Niedersachsen schon immer verhätschelt. Das Land hält 20 Prozent der Anteile an Europas größtem Autokonzern. Und der Ministerpräsident sitzt immer auch im Aufsichtsrat – eine zweifelhafte Doppelrolle. Weils Regierungserklärung verlor durch die Änderungen auch nicht ihre kritische Stoßrichtung. Aber einige unangenehme Stellen strich VW schon. Weil ist beschädigt. Er hat ein erstes Problem in diesem Wahlkampf. Und Schulz ein weiteres.

SPD-Demontage in den Ländern

Der SPD-Kanzlerkandidat hatte auf Rückenwind der Länder gesetzt. Denn Merkels Wahlsiege hatten aus CDU-Sicht immer einen Makel: Die Macht auf dem Land schwand, kein einziges Ministerpräsidentenamt eroberte die CDU in ihren ersten elf Kanzlerjahren zurück. Dann kam 2017, und die CDU entriss der SPD unverhofft die Macht in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen (NRW). Und nun wackelt sie auch in Niedersachsen. Wenn NRW die „rote Herzkammer“ ist, dann ist Niedersachsen die SPD-Kaderschmiede. Außenminister Sigmar Gabriel, Fraktionschef Thomas Oppermann und Altkanzler Gerhard Schröder haben im VW-Land ihre politische Heimat.

2017 wird für die SPD so zum annus horribilis. Das Bild der Pleiten-Pech-und-Pannen-Partei verfestigt sich: Zuerst ein missglückter erster Flirt mit Rot-Rot-Grün, der schon bei der Saarland-Wahl abgestraft wurde, dann ein Parteichef auf Tauchstation und nun ein glückloser Wahlkampf, der um soziale Gerechtigkeit kreist – ein Thema, mit dem die SPD noch nie eine Wahl gewonnen hat, wie Experten sagen. Aber das Schlüsselthema „Innere Sicherheit“ liegt den Genossen eben auch nicht. Schulz versuchte allerdings zuletzt, die Flüchtlingspolitik in den Wahlkampf zu holen. Während Merkels Urlaub tingelte er bis Sizilien. Ohne Umfrageerfolg.

Nachdem die grüne Abgeordnete Elke Twesten in Niedersachsen ihren Seitenwechsel bekanntgegeben hatte, zeigte der SPD-Chef Nerven. Er sprach von Verrat, seine Parteikollegen von einer Intrige. Ein Grüner wollte sich erinnern, dass Twesten ihm im Juni von einem „unmoralischen Angebot“ der CDU erzählt habe. Der Fall schadet auch den Grünen. Er legt die Zerrissenheit der Partei offen, deren Führung im Herbst wie die FDP gern mitregieren würde. Twesten inszeniert sich ja als bürgerliche Politikerin, die schon lang mit dem linken Parteikurs in Niedersachsen gehadert habe. Sie nennt ihre Entscheidung gestern inhaltlich begründet. Postenzusagen der CDU gebe es nicht. Zuvor hat sie auch ein persönliches Motiv genannt: Ihr Wahlkreis hat Twesten nicht als Spitzenkandidatin aufgestellt. Und so ist Niedersachsen in die Bundestagswahl geplatzt.

AUF EINEN BLICK

Niedersachsen. Nach dem Verlust der rot-grünen Mandatsmehrheit wird es in Niedersachsen am 15. Oktober Neuwahlen geben. Der Termin wurde am Montag fixiert. Die SPD droht damit den dritten Ministerpräsidenten binnen eines Jahres zu verlieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.08.2017)

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