Deutschland: Wer ist schuld am Aufstieg der AfD?

Frauke Petry wird von Reportern, Fotografen und Kameraleuten nach ihrem Coup in der Bundespressekonferenz in Berlin belagert.
Frauke Petry wird von Reportern, Fotografen und Kameraleuten nach ihrem Coup in der Bundespressekonferenz in Berlin belagert.(c) imago/IPON
  • Drucken

Nach dem Triumph der Rechtspopulisten fragt sich die Politik, wer die Alternative für Deutschland so groß gemacht hat. Einen Sündenbock hat man schon ausgemacht – die Medien.

Berlin. In der Hamburger Redaktion und im Berliner Hauptstadtbüro schlugen sich die „Spiegel“-Journalisten die Nacht um die Ohren, um am Montagnachmittag eine Sondernummer zur Bundestagswahl herauszubringen. Der knallige Titel, der am Dienstag an den Kiosken auflag: „Sie sind da.“ In schemenhaftes Blau getaucht – die Parteifarbe der AfD – prangt ein Dreigestirn auf dem Cover: das AfD-Spitzenduo Alexander Gauland und Alice Weidel, darunter Angela Merkel mit verzerrter Miene. Das Titelbild wird die Kontroverse weiter befeuern, die nach dem Triumph der Rechtspopulisten entbrannt ist, und den Vorwurf der Dämonisierung verstärken. Merkel und die Medien, so der Tenor, seien schuld am Aufstieg der AfD.

Bereits am Wahlabend hatte Joachim Herrmann, der erzürnte CSU-Spitzenkandidat, den Ton in der TV-„Elefantenrunde“ vorgegeben: „Darüber wird in den nächsten Wochen noch zu diskutieren sein, in welchem Ausmaß die öffentlich-rechtlichen Sender massiv dazu beigetragen haben, die AfD nicht klein, sondern groß zu machen.“ Katrin Göring Eckardt, die grüne Spitzenkandidatin und ansonsten nicht auf Linie mit dem bayerischen Innenminister und sicherheitspolitischen Hardliner, und FDP-Chef Christian Lindner sekundierten. Man solle nicht jede skandalöse Äußerung eines AfD-Politikers skandalisieren, monierten sie.

Kritik am TV-Duell

Die Moderatoren der Runde, die Chefredakteure von ARD und ZDF, wirkten einigermaßen konsterniert angesichts so geballter, live vorgebrachter Medienschelte. Die Kritik hatte sich indessen bereits am TV-Duell zwischen Angela Merkel und Martin Schulz entzündet. Die Debatte über die Flüchtlingspolitik, über Integration und die Türkei habe mehr als die Hälfte der Sendezeit eingenommen, hieß es unisono. Dies habe die Flüchtlingsproblematik erst wieder so richtig aufs Tapet gebracht – als Echo auf die Rhetorik der Rechtspopulisten und den Protesten auf ostdeutschen Marktplätzen. Auf der Strecke geblieben seien indes Zukunftsthemen. Das Format mit vier Moderatoren, das in der Rezension schlecht wegkam, hatte im Vorfeld schon Kritik hervorgerufen. Ex-ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender sprach sogar von einer „Erpressung“ durch Merkel, die jeden anderen Rahmen abgelehnt hatte.

Nach geschlagener Wahl zieht sich das Medienbashing wie ein roter Faden durch die Debatte. Hans-Christian Ströbele, grünes Urgestein aus dem Biotop Berlin-Kreuzberg, brachte die Kritik im ZDF auf den Punkt: „Ich empfehle allen, nicht jeden Furz oder jeden Spruch, den ein AfDler loslässt, selbst wenn er schlimm ist, tagelang, wochenlang immer wieder zu drehen und zu kommentieren.“ Die Berichterstattung und die Talk-Shows hätten am Ende nur der AfD genutzt, lautet sein Resümee. Ströbeles Gesprächspartner, ein CDU-Wirtschaftspolitiker, nickte zustimmend.

In „Hart, aber fair“ ging es in der ARD am Montagabend neuerlich um Ursachenforschung für den Erfolg der AfD und die Suche nach dem medialen Sündenbock. Arbeitsministerin Katarina Barley (SPD) und Staatssekretärin Dorothee Bär (CSU) beklagten sich in großkoalitionärer Eintracht bitter über den medialen Fokus auf Personalisierung. In Interviews gehe es nur selten um Inhalte, kritisierte Barley. Bär entrüstete sich über die mediale Praxis in Lokal- und Boulevardmedien: „Ich wurde in meinem Wahlkreis gefragt, ob ich tätowiert bin oder Piercings habe.“

Echokammern im Internet

Brender stritt indes ab, dass Medien das Geschäft der Rechtsradikalen verrichteten. Die Diskussion gehe zurück in die 1960er-Jahre, als rechtsextreme Parteien in Deutschland reüssiert hätten, betonte er. Längst ist bekannt, dass Rechtspopulisten auf eigene Onlineportale und Echokammern in den sozialen Medien setzen und die sogenannten Mainstream-Medien meiden. Es ist überdies nicht ohne Ironie, dass just die AfD die Abschaffung des Rundfunkzwangsbeitrags auf ihre Banner geschrieben hat.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.09.2017)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Albrecht Glaser (Mitte) soll für die AfD ins Bundestagspräsidium.
Außenpolitik

Widerstand gegen AfD-Kandidat Glaser als Bundestags-Vizepräsident

Die Fraktionen von SPD, FDP, der Grünen und der Linkspartei signalisieren Ablehnung gegen den 75-Jährigen, der dem Islam immer wieder die Religionsfreiheit abspricht.
Petry Pretzell AfD DEU Deutschland Germany Berlin 15 05 2017 Frauke Petry Bundesvorsitzende d
Außenpolitik

Pretzell und Petry planen Partei nach Vorbild der CSU

"Man braucht die CSU bundesweit", sagte der AfD-Abtrünnige Marcus Pretzell dem "Kölner Stadt-Anzeiger". Für Pretzell und Petry sei auch Sebastian Kurz ein Vorbild.
Außenpolitik

Ex-AfD-Chefin Petry könnte neue Partei gründen

Derzeit gebe es keine Partei, die in der Lage sei, politische Veränderungen durchzuführen, sagt Petrys Ehemann Pretzell. Das Paar erwägt einen politischen Neuanfang.
Anti-immigration party Alternative fuer Deutschland AfD top candidates Weidel and Gauland make a statement after their first parliamentary meeting in Berlin
Außenpolitik

Vorerst nur ein Mini-Exodus bei der AfD

Gauland begrüßte den Rücktritt von AfD-Co-Chefin Petry. Er und Weidel werden die AfD-Bundestagsfraktion anführen.
Frauke Petry und Marcus Pretzell gelten als Parade-Paar des nationalkonservativen Flügels der AfD.
Außenpolitik

Die AfD verliert mehrere Mandate in den Landtagen

Nicht erst seit dem angekündigten Parteiaustritt von Frauke Petry setzt sich in der AfD der rechte Flügel immer mehr durch. In vielen deutschen Landtagen sitzen fraktionslose Ex-AfD-Abgeordnete.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.