Terrorexperte: „Jemen ist die Operationsbasis“

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Terrorexperte Mustafa Alani erklärt, wie sich al-Qaida im Jemen festsetzen konnte und warum er schon bald auch Anschläge in den reichen Golfstaaten befürchtet. "Die große Mehrheit der Jemeniten sieht al-Qaida als Gefahr an."

„Die Presse“: Al-Qaida im Jemen hat sich zu dem versuchten Anschlag auf ein US-Flugzeug Richtung Detroit bekannt. Hat sich das Land zu einem neuen Terrorzentrum entwickelt?

Mustafa Alani: Es geht nicht um al-Qaida im Jemen, sondern um al-Qaida auf der gesamten arabischen Halbinsel. Vor einem Jahr haben sich der saudische und jemenitische Ableger des Terrornetzwerks zusammengeschlossen. Al-Qaida hat seither begonnen, im Jemen verstärkt zu rekrutieren. Die Gruppe publiziert mehr als vorher, zum Beispiel das Internetmagazin „Echo des Schlachtfelds“. Und sie hat vor allem mehr Anschläge verübt – etwa in Saudiarabien auf das im Antiterrorkampf führende Regierungsmitglied Prinz Mohammed im vergangenen August. Viele der Mitglieder, die heute im Jemen aktiv sind, sind keine Jemeniten, sondern Saudis. Sie stehen in Saudiarabien selbst unter starkem Druck.

Die saudiarabischen Mitglieder bringen also Geld und Ideologie ein, und die Jemeniten ein Territorium, das zu einem großen Teil nicht von der Regierung kontrolliert wird?

Alani: Der Jemen wurde aus einer Reihe von Gründen als neue Operationsbasis ausgewählt. Die jemenitische Regierung hat es derzeit mit drei Konflikten zu tun: dem Huthi-Konflikt, den Separatisten im Süden und der al-Qaida. Die Offensive gegen die Huthi bindet so viele Kapazitäten, dass al-Qaida sich sicher fühlen und sich relativ frei bewegen kann. Außerdem bietet die Armut im Jemen eine gute Möglichkeit, neue Mitglieder zu rekrutieren. Und dann kommt die günstige geografische Lage Jemens hinzu.

Einige Schätzungen sprechen von bis zu 1500 al-Qaida-Mitgliedern im Jemen. Stimmt das?

Alani: Das ist ganz sicher nicht richtig. Es gibt eine unbekannte Zahl von Unterstützern und neuen Rekruten. Aber die Fahndungsliste der Regierung umfasst nur rund 50 Männer. Sie sind der Kern.

Hat die Regierung im Jemen im Kampf gegen al-Qaida versagt?

Alani: Es stimmt, dass es 2006 einer Gruppe von 23 al-Qaida-Häftlingen gelungen ist, aus dem Gefängnis auszubrechen. Doch was selten erwähnt wird: 20 dieser 23 sind entweder getötet oder wieder eingefangen worden. Nur drei sind noch frei. Die Jemeniten sind in der Terrorbekämpfung besser als ihr Ruf. Auch die jüngsten al-Qaida-Anschläge im Jemen selbst, darunter einer auf die US-Mission in Sanaa, sind alle fehlgeschlagen.


Weswegen haben die Amerikaner dann im Dezember zum ersten Mal aktiv Luftangriffe geflogen?

Alani: Die jemenitische Regierung hat wegen der Huthi-Offensive nicht genügend Kapazitäten. Sie braucht Hilfe, aber sie war an den Attacken beteiligt. Sie sagt zu Recht, dass al-Qaida in ihrem Land kein jemenitisches Problem allein ist, sondern ein regionales.

Ist amerikanische Hilfe sinnvoll?

Alani: Schon. Aber die Amerikaner sehen al-Qaida immer nur als Sicherheitsproblem an. Die Armut spielt auch eine wichtige Rolle.

Wirklich? Der Attentäter von Detroit ist ein Bankersohn. Die Terroristen vom 11.September2001 kamen alle aus betuchten Familien.

Alani: Das ist richtig. Die reichen Jihadisten machen aber nur 20 Prozent der Organisation aus. 80 Prozent sind arm. Ich sage nicht, dass Armut der einzige Grund ist. Aber die schlechte wirtschaftliche Lage spielt Terroristen in die Hände.

Wie groß ist die Sympathie in der Bevölkerung für al-Qaida?

Alani: In den 1990ern war sie sehr groß. Heute sieht die große Mehrheit der Jemeniten al-Qaida als Gefahr an. Sie haben kein Problem damit, dass die USA das Land bei den Attacken unterstützt haben.

Könnte al-Qaida vom Jemen aus auch in Dubai, Abu Dhabi oder Katar zuschlagen?

Alani: Das sehe ich kommen. Man muss nur lesen, was sie veröffentlichen. Al-Qaida im Jemen hat nie verschwiegen, dass sie die gesamte Golfregion als Ziel ansieht. Wen der Jemen keine Hilfe bekommt im Kampf gegen al-Qaida, werden Anschläge sehr bald auch die Golfstaaten erreichen.

Was kann der Westen tun?

Alani: Einerseits direkte Hilfe. Aber der Jemen braucht vor allem auch Unterstützung im Kampf gegen die Huthi-Rebellen, weil die Regierung nicht die Kapazitäten hat, an allen Fronten gleichzeitig zu kämpfen. Und drittens Entwicklungs- und Wirtschaftshilfe.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.12.2009)

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