Kneissls diplomatische Charmeoffensive am Bosporus

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Der Besuch der Außenministerin Karin Kneissl in Istanbul soll ein neues Kapitel in den bilateralen Beziehungen eröffnen. In den großen Streitfragen gab es keine Fortschritte, aber eine atmosphärische Annäherung.

Istanbul. Die Wellen schlugen hoch im Marmarameer vor Istanbul, und sie verhinderten einen Ausflug auf die Prinzeninseln, der bei Karin Kneissl nostalgische Reminiszenzen an Kindheitsferien geweckt hätte. Der Außenministerin war es womöglich jedoch gar nicht unrecht, dass die stürmische Überfahrt auf die beliebten Ferieninseln der besseren Istanbuler Gesellschaft – einen ehemaligen Verbannungsort für die Brüder der Sultane – ausfiel, laborierte sie doch an einer aufziehenden Grippe. Donnerstag früh trat sie am Flughafen die Stippvisite in die Metropole am Bosporus mit 37,5 Grad an.

Absagen wollte sie sie indes nicht. Zu symbolträchtig war der bilaterale Besuch bei ihrem Amtskollegen Mesüt Cavusoğlu nach den Turbulenzen der vergangenen beiden Jahre in den Beziehungen zwischen Wien und Ankara. Die diplomatischen Wogen waren hochgegangen nach der Forderung der großen Koalition im Spätsommer 2016 nach Demonstrationen von Erdoğan-Anhängern in Wien und Vorarlberg, die EU-Beitrittsverhandlungen abzubrechen. Die Türkei rief ihren Botschafter zurück, und in der Folge forderten FPÖ-Politiker gar ein Einreiseverbot für den türkischen Präsidenten.

Auf türkischer Seite war bald von „radikalem Rassismus“ die Rede, von Islamo- und Xenophobie. Die Kontroverse um Auftritte türkischer Politiker im Westen im Vorfeld des Verfassungsreferendums in der Türkei ließ im Vorjahr die Volksseele vollends brodeln. Es brach ein Krieg der Worte aus, die Beziehungen der Türkei zu Berlin, Amsterdam und Wien – Städten mit großen türkischer Diaspora – taumelten dem Tiefpunkt entgegen. Erdoğan ereiferte sich über „Nazi-Methoden“, sein Außenminister Cavusoğlu schürte eifrig mit.

Vorbei und vergessen – zumindest auf Seite der Regierung in Ankara. Der Präsident und der Außenminister starteten zu Jahresbeginn eine Charmeoffensive im Westen, mit dem Ziel, den Tourismus anzukurbeln und Investoren anzulocken. Cavusoğlu stammt selbst aus der Urlaubsregion Antalya, hier liegt sein Wahlkreis. Der Chefdiplomat nahm sich vor, dass 2018 eine Wende einleiten möge. Während Erdoğan im Pariser Elysée-Palast um den französischen Staatschef Emmanuel Macron buhlte, suchte Cavusoğlu die Annäherung an Deutschland. Sigmar Gabriel, der deutsche Außenminister, empfing ihn Anfang Jänner in seiner Heimatstadt Goslar – und schnell war bei Tee und Kuchen im Hause Gabriel eine Freundschaft geschlossen, die noch vor einem Jahr undenkbar schien.

Begrüßung auf Türkisch

Ähnliches haben nun Cavusoğlu und Kneissl im Sinn. Sie sprachen sich bei der Pressekonferenz mitunter mit ihren Vornamen an, und Kneissl pries die türkische Gastfreundschaft im Domabahce-Palast, der ehemaligen Sultan-Residenz am Bosporus. Sie eröffnete ihr Statement sogar mit einer eigens einstudierten Willkommensformel. Es sei ein „aufrichtiges“ Gespräch gewesen, man habe eine klare Sprache gesprochen – so resümierten beide die dreistündigen Unterredungen. Beide rühmten auch die angenehme Atmosphäre. So übertünchen Diplomaten rhetorisch geschickt die Differenzen in zentralen Punkten, die indessen nach wie vor bestehen. In der Frage des EU-Beitritts, bei der von der Türkei angestrebten Vertiefung der Zollunion, im Konflikt um die Doppelstaatsbürgerschaft – nirgends gab es einen Fortschritt. Beide Seiten machten unmissverständlich ihre Position klar. Und die beiden Außenminister erklärten hinterher auch nüchtern, ein Kompromiss in den großen Streitfragen sei nicht zu erwarten gewesen.

Der türkische Außenminister erklärte fast trotzig, dass 75 Prozent der Türken inzwischen eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union ablehnen würden. Um kurz darauf ein Plädoyer für einen EU-Beitritt zu halten: „Wir wollen nicht vor der Tür aufgehalten werden. Wir warten seit 60 Jahren. Wir sind ein Teil Europas, das wichtigste Land für die Sicherheit Europas.“ Und obendrein ein Schlüsselland im Zusammenhang mit der Flüchtlingspolitik und der Migrationswelle, wie er erinnerte.

Wieder Grabungen in Ephesos

Dennoch betonten Cavusoğlu und Kneissl unisono, sie hätten ein neues Kapitel in den bilateralen Beziehungen aufgeschlagen. Es sei weitaus besser, miteinander als übereinander zu sprechen. Cavusoğlu formulierte es so: „Wir wollen nicht mehr über Pressemitteilungen kommunizieren.“ Kneissl konstatiertb eine „neue Dynamik“: „Ich glaube, da ist viel im Fluss. Man kann etwas verändern.“ Immerhin gab es zwei konkrete Fortschritte zu vermelden. Die Türkei hob den Stopp der archäologischen Grabungen in Ephesos umgehend wieder auf – ein symbolischer Akt. Zudem sollen Wirtschaftskommissionen eine verstärkte wirtschaftliche Kooperation und neue Projekte ins Visier nehmen und prüfen. Am Rande erörterten die Chefdiplomaten die jüngste Militäroffensive der Türkei in den syrischen Kurdengebieten. Cavusoğlu pocht auf eine 30 Kilometer breite Pufferzone. Kneissl brachte die Verfolgung der Dissidenten und Schriftsteller in der Türkei zur Sprache.

Beide Seiten waren jedoch bemüht, das Positive herauszustreichen. Das Gastgeschenk, das Karin Kneissl mitbrachte, sollte dies illustrieren. Sie überreichte ihrem Kollegen ein Faksimile des Friedensvertrags von Passarowitz vor 300 Jahren, der den Krieg des Habsburgerreichs mit den Osmanen beschloss und eine diplomatische Ouvertüre einleitete.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.1.2017)

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