Rosinenpicken 2.0? May hält ihre dritte große Brexit Rede

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Brüssel fordert eine klare Ansage: Wie soll das künftige Verhältnis zwischen EU und dem Vereinigten Königreich nach dem Brexit aussehen?

Brüssel drängelt seit Monaten. Die Europäische Union will eine klare Ansage von der britischen Regierung, wie der Brexit und die künftige Partnerschaft beider Seiten aussehen soll. Denn davon hängt viel ab, vor allem für die Wirtschaft auf beiden Seiten des Ärmelkanals. Am Freitag will Premierministerin Theresa May nun endlich ihre Position in einer Grundsatzrede erläutern.

Was will die britische Regierung?

London will Binnenmarkt und Zollunion verlassen und nicht mehr der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs unterworfen sein. Am Binnenmarkt stört sich die britische Regierung, weil er neben freiem Verkehr von Waren und Dienstleistungen auch die Freizügigkeit von EU-Arbeitnehmern garantiert. Die Zollunion will sie nicht mehr, weil die Mitglieder Außenzölle nur gemeinsam regeln und somit auch keine eigenen Handelsabkommen schließen dürfen. London wünscht sich mehr Selbstbestimmung und weniger Regeln. Gleichzeitig soll der Handel zwischen EU und Großbritannien so "reibungslos" wie möglich sein. Auch Finanzdienstleistungen wollen die Briten weiter in der EU anbieten.

Wie will London seine Ziele erreichen?

Im Gespräch ist der sogenannte Drei-Körbe-Ansatz: Freien Warenverkehr soll es demnach für einzelne Branchen wie die Autoindustrie geben, indem sich London den EU-Regularien unterwirft. In anderen Bereichen sollen nur gemeinsame Ziele mit der EU vereinbart werden, beispielsweise in Sachen Arbeitnehmerrechte. Beide Seiten sollen die jeweiligen Regeln gegenseitig anerkennen. Bei der Landwirtschaft und Fischerei dagegen will sich London Berichten zufolge ganz frei machen vom Regelwerk der EU.

Was entgegnet die EU?

Die Reaktion aus Brüssel auf diese Erwägungen ist eindeutig: "Pure Illusion" nannte EU-Ratspräsident Donald Tusk die Ideen aus London und EU-Unterhändler Michel Barnier schloss sich gleich an. Das Körbe-Modell ist für sie "Rosinenpicken" - man nutzt Vorteile von Zollunion und Binnenmarkt, ohne sich den Regeln zu unterwerfen. Tusk und Barnier halten den ganzen britischen Ansatz für unrealistisch. Wer solche Rote Linien vorgebe - kein Binnenmarkt, keine Zollunion -, könne nicht viel erwarten: "Es kann keinen reibungslosen Handel außerhalb der Zollunion und des Binnenmarkts geben", sagt Tusk. "Reibung ist eine unvermeidliche Nebenwirkung des Brexits."

Was will die britische Opposition?

Labour-Chef Jeremy Corbyn will - anders als die Regierung - eine neue Zollunion mit der EU, um die Wirtschaft zu schützen und Zollkontrollen an der Grenze zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland verhindern. Dafür erhält er Zuspruch von Wirtschaftsverbänden und Experten. Außenminister Boris Johnson dagegen schäumte, Corbyns Pläne würden Großbritannien den Status einer Kolonie der EU verleihen.

Wie geht es weiter?

Auch EU-freundliche Tory-Abgeordnete wollen eine Zollunion und wollen dies per Gesetz erzwingen - was auf eine Rebellion gegen May hinauslaufen könnte. Die abtrünnigen Konservativen rechnen nach den jüngsten Äußerungen Corbyns mit weitgehender Unterstützung der Opposition und einer Mehrheit im Parlament. Medien spekulieren, May könnte mit Rücktritt drohen, um eine Niederlage zu verhindern. Eine entsprechende Abstimmung wird aber nicht vor Ostern erwartet.

Und was plant die EU?

Tusk will nächste Woche seinen Vorschlag für die künftigen Beziehungen machen und sie sich auf dem EU-Gipfel in drei Wochen absegnen lassen. Worauf es mit all den Wenn und Aber aus London hinausläuft, hat Unterhändler Barnier bereits angedeutet: Mehr als ein Freihandelsabkommen werde es wohl nicht. Denkbar seien prinzipiell alle Modelle, und je mehr Pflichten und Regeln London akzeptiere, desto freier könne der Handel sein. "Es ist immer auch möglich, ein ambitionierteres Modell zu wählen und in der Zollunion zu bleiben", sagte Barnier am Donnerstag. "Aber das würde die richtige Balance von Rechten und Pflichten bedeuten."

(APA/dpa/Christoph Meyer und Verena Schmitt-Roschmann)

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