Die Premierministerin erteilt Binnenmarkt und Zollunion eine Absage und skizziert Grundzüge künftiger Wirtschaftsbeziehungen „in gegenseitigem Vorteil“.
London. Die britische Premierministerin, Theresa May, hat erstmals im Detail die Vorstellungen ihres Landes für die Neugestaltung der Wirtschaftsbeziehungen nach dem Ausscheiden aus der EU in etwas mehr als einem Jahr vorgestellt. In einer Grundsatzrede in London sprach sich May am gestrigen Freitag für eine „Partnerschaft, die so weit und tief wie möglich ist“ aus, erteilte zugleich aber einem weiteren Verbleib ihres Landes in einer Zollunion mit der EU oder im gemeinsamen Binnenmarkt eine klare Absage. Denn: „Das wäre mit Verpflichtungen verbunden, die für uns nicht akzeptabel wären.“
Ebenso wies May auch die Position des EU-Verhandlungsteams zurück, wonach Großbritannien nur die Wahl zwischen bereits bestehenden Modellen etwa nach dem Vorbild Norwegens (Zugang zum EU-Binnenmarkt) oder Kanadas (Handelsabkommen) hat. „Wir wollen unsere eigene Vereinbarung“, erklärte May. Diese müsse sowohl die engen wirtschaftlichen Verknüpfungen zwischen der EU und Großbritannien als auch sicherheitspolitische Fragen wie den Friedensprozess in Nordirland in Betracht ziehen: „Wir werden nicht in Gefahr bringen, woran britische Regierungen jahrzehntelang hart gearbeitet haben“, sagte May.
Während die Premierministerin den Vorwurf zurückwies, Großbritannien würde sich in den Verhandlungen nur Vorteile sichern wollen („Wenn das Rosinenklauben ist, dann trifft das auf alle Verhandlungen zu“), räumte sie ein: „Es liegt in der Natur derartiger Gespräche, dass sich nicht nur eine Seite durchsetzen kann.“ Ziel sei eine „Lösung im gemeinsamen Interesse“. So sei Großbritannien auch nach dem Brexit „bereit, in bestimmten Bereichen bindende Verpflichtungen zur Übernahme von EU-Bestimmungen einzugehen.“
Position für Brüssel inakzeptabel
Der britische Zugang bleibt freilich, dass sich London aussuchen möchte, was London gefällt. May wiederholte die Position eines stufenweisen Zugangs, nach dem in manchen Sektoren – etwa der Auto- oder Pharmaindustrie – volle Übereinstimmung fortbestehen soll, im Finanz- und Dienstleistungsbereich übereinstimmende Regeln vereinbart, aber auch Abweichungen möglich sein sollen, und schließlich in einem dritten Bereich, etwa den Zukunftstechnologien, jede Seite ihre eigenen Bestimmungen einführen darf.
Brüssel hat diese Position bereits wiederholt als inakzeptabel zurückgewiesen. Dennoch scheint die Londoner Premierministerin immer noch zu hoffen, dass sie sich mit ihren Forderungen durchsetzen kann. Ähnlich ist ihre Position zur Zollunion, die in Großbritannien mittlerweile nicht nur von der Wirtschaft, sondern auch von der oppositionellen Labour Party gefordert wird. Stattdessen will May eine „Zollpartnerschaft“ oder ein „gestrafftes Zollabkommen“.
Vereinbarung muss Tests bestehen
Einerseits soll dabei die Integration der britischen Wirtschaft in den EU-Markt möglichst ungehindert weitergehen. Andererseits will Großbritannien nach dem Brexit Handelsabkommen mit Drittstaaten abschließen können. May erklärte, eine Vereinbarung zwischen der EU und Großbritannien müsse „fünf Tests“ bestehen: dem Willen der Volksabstimmung von 2016 Rechnung tragen, dauerhaft haltbar sein, Arbeitsplätze und Sicherheit in Großbritannien schützen, mit einem offenen und toleranten Großbritannien vereinbar sein und den Zusammenhalt des Vereinigten Königreichs stärken.
Was die fast 50-minütige Rede von zahlreichen vorangegangenen Auslassungen unterschied, war zum einen der Ton: May verzichtete auf jede Art von Prahlerei und auf glorreiche Prophezeiungen über die strahlende Zukunft des post-brexitalen Großbritannien. Zudem zwang sie auch die radikalen Brexit-Anhänger in ihren eigenen Reihen, harte Wahrheiten zur Kenntnis zu nehmen, etwa dass EU-Bestimmungen „in unserem eigenen Interesse“ seien.
Freundlich im Ton, hart in der Sache
An die Adresse Brüssels zeigte sich May schließlich freundlich im Ton, aber hart in der Sache. Immerhin wird man in der EU aufatmen, dass London endlich Details nannte und den Willen zu einer gemeinsamen Vereinbarung unterstrich. Schon Ende März sollen die Verhandlungen beginnen. Auch ihre Gegner konnten gestern Mays Schlusswort zustimmen: „Gehen wir es endlich an!“
("Die Presse"-Printausgabe, 3.3.2018)