Grenzerfahrung: Allgäuer Alpen im Winterkleid

Bayrischer Spätwinter
Bayrischer SpätwinterTom Busch
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Obenauf am Oberjoch im Oberallgäu – und auf schmalen Stegen durch die tiefste Felsenschlucht Mitteleuropas. Eine späte Winterwandertour in Bayern.

Achthundert Paar Ski, einhundert Paar Langlaufski und weit über einhundert Snowboards. Da wählen wir doch –die Schneeschuhe, und ziehen mit Hans los. Der gebürtige Ostallgäuer will vorzeigen, wie man mit angeschnallten Riesenfüßen leichtfüßig über Schnee geht.

Die Ostrachtaler Skischule, mit über 130 Skilehrern die größte der Region, lassen wir hinter uns liegen und stapfen querfeldein auf dem Schneefeld von Oberjoch. Kurz die Bundesstraße 308 queren, die in nicht einmal drei Kilometern die Grenze überschreitet und bei Schattwald zur österreichischen Tannheimer Straße wird, und weiter geht die Tour durchs schneebedeckte Land.

Tourenführer Hans stapft flott voran. Die Schneeschuhe verhindern ein tiefes Einsinken. Schon nach wenigen Schritten hat man sich an das Laufen mit den Riesenfüßlingen gewöhnt, der Kreislauf kommt in Schwung, und die weiß strahlende Landschaft lässt die Blicke weit schweifen. Als Orientierung bäumt sich eine einzeln stehende Tanne auf dem Schneefeld auf. In der Ferne zieht der Morgennebel weg und macht die Sicht frei auf den fast zweitausend Meter hohen Kühgundkopf. Daneben reckt sich der Iseler, der Hausberg der Oberjocher, fast genauso hoch. „Da oben führt ein schöner Höhenweg über Bschießer und Ponten, beides Zweitausender“, malt Hans mit seinem Skistock einen weiten Bogen in den blauen Winterhimmel.

Eine imposante Felsenschlucht – die Breitachklamm, die in der Kälte zu einem Wald aus Eiszapfen wird.
Eine imposante Felsenschlucht – die Breitachklamm, die in der Kälte zu einem Wald aus Eiszapfen wird. Tom Busch

Wiege des deutschen Skisports

Die Allgäuer Alpen im Winterkleid: Weiß erstreckt sich das Hochplateau über dem Ostrachtal, und mittendrin eingebettet liegt der Ort Oberjoch auf 1100 Metern Höhe. Die Oberjocher sagen, sie leben in Deutschlands höchst gelegenem Bergdorf. Stolz sind sie auch auf ihr Alpines Trainingszentrum Allgäu, in dem Teile der deutschen Nationalmannschaften in den Disziplinen Slalom und Riesenslalom ausgebildet werden. Oberjoch gilt seit dem Bau des ersten deutschen Skiliftes am Iseler im Jahr 1943 als die „Wiege des Skisports in Deutschland“.

Die Bedingungen sind gut: eine Achter-Sesselbahn, drei Sechser-Sesselbahnen, 32 Pisten- und 45 Loipen-Kilometer liegen direkt vor der schneesicheren Haustür, und die Hindelanger Hornbahn zählt zu den besten Rodelbahnen Deutschlands.

„Kraftbaum“
„Kraftbaum“Tom Busch

Hans hält an einem Urbild von einem Baum. „Ein Kraftbaum“, erklärt er, „ein Wunderbaum, der auf Kraftlinien wachsen soll“, so haben es ihm die Hirten erzählt. Die über zweihundertjährige Fichte misst sieben Meter im Umfang. „Im Sommer stehen die Hirten mit ihren Kühen darunter, sie glauben wohl an die Heilkraft des Baumes.“ Der Sommer sei auch zu hören, wenn die Alphörner, oder wie Hans sagt, die „Allgäuer Smartphones“ von Berg zu Berg rufen und die Bergbauern sich mit lang gezogenen Tönen austauschen.

Ja, wenn es Sommer wird in Oberjoch, dann locken dreihundert Kilometer Wanderwege, Klettersteige und Downhill-Strecken, die bis nach Hindelang hinunter reichen. Dann wird Hans zum Bergwanderer und nimmt die Gäste mit, etwa auf den Panoramaweg, der bis zum Kühgund hinaufführt. Dort oben liegen die Rohnenspitze, das 2200 Meter hohe Gaißhorn und der gesamte Hauptkamm der Allgäuer Alpen zum Greifen nah.

Die Region zwischen den Königsschlössern, der Zugspitze und dem Bodensee ist landschaftlich ein Hingucker. Rauschende Bäche, klare Bergseen und grüne Almen prägen das Bild. Hier spazieren die Kühe abends von der Weide in den Stall zurück. Und pfeifende Murmeltiere soll es hier geben, erzählt Hans.

An der Iseler Talstation zurück, schnüren wir die Schneeschuhe ab, begeistert. Vielleicht gehen wir morgen auf eine echte Schneeschuh-Gipfeltour, oben über die Alpe Kematsried und dann die Baumgrenze hinter uns lassend bis zum Plateau hinauf.

Tom Busch

Auf Wasserbetten ruhen

Zurück im Ort ist Entspannung angesagt. Im Wellness-Resort, das gleich gegenüber der Iseler Bergbahn direkt an der Deutschen Alpenstraße liegt, bettet man sich im dreitausend Quadratmeter großen Spa ruhesuchend auf Wasserbetten, genießt den Duft von frischem Zirbenholz in den Saunen und dazu den Ausblick auf das Bergpanorama. Vor dem dampfenden Außenpool liegen die Dächer des Chaletdorfes, mit Hauben aus frischem Neuschnee.

Der heilklimatische Kurort Oberjoch gehört zum Oberallgäu, dem südlichsten Landkreis Deutschlands. Im Oberallgäu ist die Stadt Kempten ein wichtiger Anziehungspunkt, aber auch die Landschaft mit ihren Alpen und den höchsten Berghöfen des Landes. Alles will hoch hinaus – auch der höchste Berg des Oberallgäus, die Hochfrottspitze, mit knapp 2700 Metern. Wir wollen hinab, ins Tal. Die Straße nach Bad Hindelang gilt mit 107 Kurven auf acht Kilometern Strecke als kurvenreichste Straße Deutschlands.

Früher beförderten hier täglich bis zu 300 Pferde tonnenweise geschürftes Salz und brachten es zum Bodensee. Im Tal wurde Eisenerz abgebaut. Über fünfhundert Jahre alte Hammerschmieden erinnern heute noch daran. In ihnen wurden etwa Hellebarden für den Kaiser Maximilian I. geschmiedet.

Weiter geht es über Sonthofen nach Tiefenbach. Hier verläuft die Breitachklamm – die tiefste Felsenschlucht Mitteleuropas. Die Klamm hat geöffnet: Zu jeder Jahreszeit kann man die Schlucht am Ausgang des Kleinwalsertals betreten. Gewaltig donnert das Wasser durch das felsige Gestein. Jetzt im Winter hat die Kälte meterlange Eiszapfen geformt. Ganze Eiszapfenwälder wachsen am Berg, hängen über dem Abgrund und ragen in die Tiefe. Imposant der Anblick und betörend das Rauschen.

Auf Stegen nach Österreich

Die Klamm entstand zehntausend Jahre nach der Würmeiszeit, als sich die Breitach langsam durch das harte Gestein bohrte. Ein Pfarrer war es, der sie erschloss, um seiner armen Gemeinde etwas Einkommen zu verschaffen. 1905 wurde sie eröffnet. Im Jahr 1995 löste sich ein riesiger Fels und riss 50.000 Kubikmeter Geröll mit sich in die Tiefe, so dass sich das Wasser dreißig Meter hoch staute. Die verwüstete Klamm wurde erst Jahre später wieder geöffnet.

Wir sind durch. Auf schmalen Stegen, in den Fels gehauen, kommen wir oben nach 2,5 km wieder heraus – und in Österreich an. Das obere Ende, wo das Gewässer entspringt, liegt nahe der Walserschanze schon auf österreichischem Gebiet. So entpuppt sich die tiefste Klamm der Allgäuer Alpen als eine wahre Grenzerfahrung.

DIE ALLGÄUER ALPEN

Sport: Viele Loipen und in Summe 400 Pistenkilometer: Über die Wintersportmöglichkeiten im Oberallgäu inklusive Schneehöhen und Pistenpläne informiert das Allgäu-Portal www.allgaeu.de. Anfragen: info@allgaeu.de

Unterkunft: Panoramahotel Oberjoch, gegenüber der Iselerbahn. Elegantes Spa-Resort mit vier Gourmetrestaurants, 5-Gang-Wahlmenü am Abend, Küchenparty, Motto-Abende. 400 Etiketten im Weinkeller. Vital-Frühstückssnack und Salatbar tagsüber im Spa-Bistro, nachmittags Kuchenbar in der Lobby, Aktivprogramme wie Yoga, Rückenfit, Wan- dern, Schneeschuhwandern, Skidepot am Iseler-Lift. 3000 Quadratmeter großes Alpin-Spa mit Bergblick. 113 große Zimmer und Suiten, auch auf

zwei Ebenen, mit Whirlpool-Badewanne, Privatkino, Billardtisch. Buchung: www.weekend4two.de, Tel. +49/89/ 21093959, www.panoramahotel-oberjoch.de.

Erst 2017 eröffnet wurden 14 Alpin-Chalets auf 1200 Meter Höhe, inspiriert von Allgäuer Architektur – mit Holz, Filz und Leder. Eigene Sauna und Holzzuber auf der Terrasse. Tel. +49/8324/9333- 500, www.alpin-chalets.com.

Gastronomie: Restaurant Zwölfhundert NN: Exklusives À-la-carte-Restaurant im Chalet-Dorf mit offenem Front-Cooking-Bereich. Regionale Produkte und Spezialitäten wie Tatar vom Bad Oberdorfer Weiderind, Carpaccio vom Allgäuer Färsenfilet, Steaks vom Rettenberger Molkerind. www.panoramahotel-oberjoch.de.

Meckatzer Sportalp: Moderner Alpinstil an der Talstation der Iseler-Bahn für urige Hüttenabende, mit Essen vom Schmuggler-Hut und Kässpatzen – all you can eat. https://meckatzer-sportalp.de.

Sehenswürdigkeit: Die Breitachklamm ist zu jeder Jahreszeit von neun bis 16 Uhr geöffnet. Es gibt besondere Termine für Fackelwanderungen. Parkplatz und Kasse in Tiefenbach. www.breitachklamm.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.03.2018)

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