Willkommen im Kalten Krieg 4.0

Kanzler Sebastian Kurz erklärt die Zurückhaltung mit der Neutralität Österreichs.
Kanzler Sebastian Kurz erklärt die Zurückhaltung mit der Neutralität Österreichs.(c) REUTERS (LEONHARD FOEGER)
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Österreich hat recht, vorerst keine russischen Diplomaten auszuweisen. Aber nicht mit Hinweis auf die Neutralität. Die gibt es so längst nicht mehr.

Spätestens seit Ausbruch des bewaffneten Ukraine-Konflikts wissen wir, dass sich die russische Regierung und ihr Präsident nur bedingt eignen, das Thriller-Präludium „Die Schlafwandler“ über den Ausbruch des Ersten Weltkriegs nachzuspielen. Oder besser: sich vielleicht perfekt eignen. Der zugegebenermaßen viel leichter hinzuschreibende als in die Tat umzusetzende richtige Umgang wäre es, in der Sache hart zu bleiben, ohne die Eskalation zu beschleunigen. Genau das passiert, wenn man ohne abgeschlossene Untersuchung des Mordfalls Diplomaten ausweist, das Nachziehen zahlreicher Verbündeter, allen voran der USA, wird diplomatische Gegenreaktionen in Moskau auslösen. Nun folgt auch noch die Nato, um die Aufregung zu komplettieren. Russlands Antwort wird wiederum zu weiteren Aktionen im sogenannten Westen führen, zumal die Ausweisung mutmaßlicher Geheimdienstdiplomaten erst den mittleren Bereich diplomatischer Eskalationsstufen darstellt. Willkommen im Kalten Krieg 4.0.

Dass Österreich nicht bei der konzertierten Aktion mitmacht, hat nicht nur mit der sicherheitspolitischen Hasenfuß-Tradition des Landes zu tun, sondern ist in Hinblick auf oben genannten Umstand tendenziell positiv zu beurteilen: Bevor Fakten vorliegen, sollte man sich trotz aller Emotionen zurückhalten und nicht helfen, dass die russische Seite weiteren Stoff für ihre paranoide Fake-News-Medienwelt bekommt, den die TV-Regime-Regisseure genüsslich zur Fütterung des zunehmenden russischen Verfolgungswahns verwenden werden. Anders sieht es bei Vorliegen akkuraten Beweismaterials aus: Dann werden Reaktionen notwendig sein, auch wenn das der heimischen Exportwirtschaft wenig gefallen wird.

Kanzler Sebastian Kurz erklärt die Zurückhaltung mit der Neutralität Österreichs: Da hat er recht und nicht recht zugleich. Definieren wir Österreichs Neutralität streng wie die Schweizer, gälte die völlige Nichteinmischung bei jedwedem Konflikt. Das liebste dumme Argument gegen diese Neutralität ist das moralische: Denn selbst wenn eine Konfliktpartei offensichtlich im Recht ist, sollte man sich nicht auf diese Seite schlagen, sondern heraushalten – und im Idealfall vermitteln.

Es war etwa ein ÖVP-geführtes Außenministerium, das maßgeblich daran beteiligt war, dass Österreich Kroatien als eines der ersten Länder offiziell anerkannte und damit in der Politik auf dem Balkan mitmischte und sie veränderte. Auch der Beitritt zur Europäischen Union und zu ihrer werdenden gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, etwa bei Wirtschaftssanktionen gegen Russland wegen der Krim-Aggression und Ostukraine-Haltung, hat die reine Neutralität verwässert. Dass sowohl das neutrale Schweden als auch Finnland bei dem großen Bann Russlands nun mitziehen, zeigt, dass die Neutralität immer mehr zur Auslegungssache wird. Österreich handhabt diesen Status ohnehin wie das sprichwörtliche Rosinenpicken: Wir berufen uns immer dann auf die Neutralität, wenn es der bequemere Weg ist.

Genau aus diesem Grund würde man sich von einer entschlossenen und vor allem ehrlichen Regierung wünschen, dass man über den wahren Status Österreichs einmal offen diskutiert und die Neutralität gegebenenfalls auch offen und ehrlich infrage stellt. Das würde freilich sehr viel Mut, Konsequenz und Ignoranz gegenüber allen Umfragen erfordern. Nur weil eine satte Mehrheit unsere sicherheitspolitische Trittbrettfahrer-Neutralität befürwortet, heißt das noch lang nicht, dass sie ehrlich und aufrechtzuerhalten ist. Auch wenn selbst weite Teile der ÖVP und vor allem der FPÖ dies niemals unterstützen würden. Von der SPÖ ganz zu schweigen.


Sicherheitspolitik ist in Friedenszeiten nur etwas für Experten oder Kommentatoren in Qualitätszeitungen. Einigt sich die Politik in einer solchen Periode nicht auf die grundlegende Ausrichtung und Strategie, wird das sehr schnell sicht-, also bemerkbar, wenn es für und in Europa rauer wird. Jetzt, da das Wiederaufflackern des Kalten Krieges und alter (Territorial-)Konflikte wieder die Schlagzeilen (zu Recht) beherrscht, nimmt nicht nur die geopolitische Unsicherheit zu, sondern werden auch eigene sicherheitspolitische Defizite sichtbar.

E-Mails an:rainer.nowak@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.03.2018)

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