Ein Kastenwagen raste in einen Gastgarten in der deutschen Stadt Münster. Danach erschoss sich der Fahrer. Alles deutete zunächst auf Terror hin. Doch dann stellte sich heraus: Der Täter war deutscher Staatsbürger und psychisch auffällig.
Es war der erste schöne Frühlingstag. Die Menschen in Münster strömten ins Freie, um die Sonne zu genießen. Auch der Gastgarten des Traditionsrestaurants „Kiepenkerl“ war gut besucht an diesem Nachmittag. 23 Grad, da sitzt man gerne draußen. Beim „Kiepenkerl“ in der Altstadt, einer Bronzestatue eines umherziehenden Händlers, schlägt das Herz dieser idyllischen Stadt in Nordrhein-Westfalen.
Am Samstag um 15.27 Uhr fand die Idylle ein jähes Ende. Ein Campingbus raste in die Tischreihen vor der Gaststätte Kiepenkerl am Spiekerhof. Ein Knall. Stühle, Tische, Gäste flogen durch die Luft. Schreie, Blut, Chaos. Zwei Dutzend Menschen blieben verletzt am Boden liegen, sechs davon schwer. Zwei waren auf der Stelle tot.
Der dritte Tote war wenig später der Fahrer des VW Bulli selbst: Er erschoss sich in seinem Wagen. Alles schien zunächst auf einen Terroranschlag hinzudeuten. Augenzeugen wollten gesehen haben, wie Mittäter aus dem Kastenwagen gesprungen sein. Waren sie noch in der Stadt unterwegs? Die Polizei versuchte zu beruhigen. Sicherheitskräfte sperrten das Zentrum von Münster großflächig ab, spannten rot-weiß-rote Bänder über die engen Pflasterstraßen. Spezialeinheiten mit Gesichtsmasken postierten sich rund um den Paulusdom.
Im Fahrzeug des Täters fanden die Fahnder ein verdächtiges Päckchen mit Drähten. Sprengstoff? Wieder ein scheinbarer Hinweis auf einen terroristischen Hintergrund. Der Bombenentschärfungsdienst rückte an.
Polizeireporter kämmten die Statistiken durch. 360 sogenannte Gefährder zählen die Sicherheitsbehörden in Nordrhein-Westfalen. Radikale Islamisten, denen zugetraut wird, irgendwann einen Terroranschlag zu verüben. Rückkehrer aus dem Jihad im Irak und in Syrien. 20 von ihnen stehen unter Dauerbeobachtung. Kurz nach 19 Uhr wurde die Terrorthese weggefegt. Die „Süddeutsche Zeitung“, der NDR und der WDR veröffentlichten erste Details zur Identität des Täters. Demnach handelte es sich um einen Deutschen, geboren 1969 und psychisch auffällig. Wie die „FAZ“ berichtete, soll er ursprünglich aus dem Sauerland stammen und unweit des Tatorts gewohnt haben.
Die Einsatzkräfte durchsuchten seine Wohnung. Vorsichtig. Denn sie fürchteten Sprengstofffallen. Später stellte sich heraus: Der 49-Jährige war für die Polizei kein Unbekannter. Der Todesfahrer war als Kleinkrimineller aus dem Drogenmilieu bekannt – und als psychisch auffällig. Er soll angekündigt haben, demnächst auf großer Bühne einen Selbstmord zu begehen. Herbert Reul, der Innenminister von Nordrhein-Westfalen, wollte zunächst nur bestätigen, dass der Täter ein deutscher Staatsbürger sei „und kein Flüchtling“, wie wieder spekuliert worden sei. Nichts weise im Moment auf einen islamistischen Hintergrund hin. Doch ausschließen wollte Reul vor Abschluss der Ermittlungen nichts.
Unsicherheitsgefühl
In den Stunden davor hatte sich nahezu die gesamte deutsche Spitzenpolitik erschüttert gezeigt. Denn es schien, als habe der Terror nun auch die Provinz erreicht – eine beschauliche Studentenstadt wie Münster mit ihren 310.000 Einwohnern, mit ihren Radwegen, ihren liebevoll restaurierten gotischen Giebelhäusern und ihren Bausünden aus der Wiederaufbauzeit nach dem Krieg.
Ein neues Unsicherheitsgefühl machte sich breit. Erinnerungen an den Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin wurden wach, an den Todesschützen von München, an den Messerstecher von Hamburg oder den Rucksackbomber von Ansbach.
Bundesinnenminister Horst Seehofer bereitete seinen ersten großen Auftritt in seiner neuen Funktion vor. Vorab teilte er mit der Öffentlichkeit seine „Bestürzung“ über den „schrecklichen Vorfall in Münster“. Ähnliche Töne schlug Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet an. „Ein trauriger, ein schrecklicher Tag für unser Land!“, schrieb der CDU-Politiker auf Twitter. Er telefonierte mit seiner Parteichefin, Angela Merkel, um sie über den Stand der Ereignisse auf dem Laufenden zu halten. Die Kanzlerin selbst hielt sich zurück, bis die Lage sich klärte.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.04.2018)