Telemark: Auf den Spuren von Saboteuren und Skipionieren

Charakteristische Landschaft am Venelifjell.
Charakteristische Landschaft am Venelifjell.Thomas Reinhardt
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In der südnorwegischen Provinz finden Wanderer von Gipfeln über Schluchten bis hin zu Schären so ziemlich alles, was man von Norwegen erwartet – nur keine Fjorde. Die Region gilt dafür als die Wiege des modernen Skisports. Und im Zweiten Weltkrieg fand dort eine wichtige Sabotageaktion statt.

Die Operation Gunnerside im Zweiten Weltkrieg ist in Norwegen längst zum nationalen Mythos avanciert. Das mehrmals verfilmte Ereignis, zuletzt für die britisch-norwegische TV-Serie „Saboteure im Eis“, spielte sich folgendermaßen ab: Im Februar 1943 sabotierten norwegische Widerstandskämpfer die Produktion von schwerem Wasser, das den Deutschen bei der Herstellung von Atombomben helfen sollte. Solches Wasser war schwer herzustellen, es fiel aber als Nebenprodukt der Ammoniakherstellung durch die Firma Norsk Hydro in Vemork in der norwegischen Provinz Telemark an.

Mehrere Versuche, den Deutschen den Zugang zum schweren Wasser zu versperren, waren bereits gescheitert – und zwar nicht zuletzt an schlechten Witterungsbedingungen im Winter: So waren im November 1942 zwei Schleppflugzeuge einer britischen Spezialeinheit abgestürzt, die die Produktionsanlage zerstören sollte. Die Operation Gunnerside drei Monate später glückte jedoch, die Produktionsanlage wurde gesprengt. Damit war die Geschichte freilich noch nicht zu Ende: Die Deutschen bauten die Anlage wieder auf, die Alliierten bombardierten sie, die Deutschen versuchten, die Halbfabrikate an schwerem Wasser nach Deutschland zu transportieren, was norwegische Saboteure durch die Sprengung der Eisenbahnfähre Hydro verhindern konnten. Das Kraftwerksgebäude, das neben der Fabrik steht, gibt es noch, es beherbergt heute das Norwegische Industriearbeitermuseum und wurde vor drei Jahren wegen seiner eindrucksvollen Lage und Bauweise in das Unesco-Weltkulturerbe aufgenommen. Man kann dort Turbinen und historische Dokumente besichtigen.

Der Gaustatoppen, mit 1883 Metern der höchste Berg der Provinz.
Der Gaustatoppen, mit 1883 Metern der höchste Berg der Provinz.Thomas Reinhardt

Die Tücken der Witterung

Doch zurück zur Operation Gunnerside: Die fand mitten im norwegischen Winter statt, die Widerstandskämpfer mussten bei Nacht und Nebel die Schlucht bei Vemork bezwingen, bevor sie das Tor zum Fabrikgelände aufsprengen konnten.

Wir folgen auf unserer Wanderreise durch die Telemark ihren Spuren, allerdings untertags und bei strahlendem Sonnenschein. Die Tour soll „mittelschwer“ sein, versichert unser Reisebegleiter, Mike, ein gebürtiger Waliser, der schon länger in Norwegen lebt. Konditionelle Schwierigkeiten scheint sie tatsächlich nicht zu bereiten. Der Saboteurspfad führt zunächst über Forststraßen, über ein paar Hügel, durch den Wald, über ein Plateau, zwischen Heidelbeeren durch, die hier überall wachsen. Wir wandern durch schattige Schluchten, ein paar Bäche sind zu überqueren, manche mit und manche ohne Brücke.

Doch dann kommt die Schlucht bei Vemork. Und die zu überwinden ist auch bei Tageslicht und Sonnenschein nicht ganz einfach, wie wir feststellen müssen. Wir halten uns für den Ab- und Aufstieg an Seilen fest und müssen schließlich auch einen größeren Bach überqueren. Das sei, so erklärt Mike, überhaupt kein Problem. Man dürfe das über den Bach gespannte Seil nur zur Absicherung nutzen, sich aber nicht daran festklammern. Denn sonst verliere man den Halt und lande unweigerlich im Wasser. Einige von uns beherzigen den Ratschlag dann doch nicht und müssen hoffen, dass ihre Wanderschuhe über Nacht wieder trocken werden.

Denn am nächsten Tag geht es auf den Gaustatoppen, mit einer Höhe von 1883 Metern der höchste Berg Südnorwegens. Das klingt für erfahrene österreichische Bergwanderer nicht wirklich hoch, doch bei klarem Wetter soll man vom Gipfel aus ein Sechstel Norwegens überblicken können. Bis zum Meer soll man auf einer Seite sehen können, auf der anderen bis zur schwedischen Grenze.

Langesund
LangesundThomas Reinhardt

Aufstieg über Geröll zum Gaustatoppen

So klar ist es an diesem Tag nicht, es schaut ständig nach Regen aus, doch hält das Wetter schließlich doch. In der Nähe liegt das Wrack eines Flugzeugs, das am steilen Südhang abgestürzt ist und nie geborgen wurde. Es gibt jedoch mehrere Wege, den Gaustatoppen zu besteigen, der leichteste und beliebteste beginnt auf dem Parkplatz Stavsro auf einer Höhe von 1170 Metern und kann in zwei oder zweieinhalb Stunden bewältigt werden, je nachdem, ob man ohne Unterbrechung die Strecke durchgeht oder Pausen einlegt.

Auch Nachtwanderungen mit Fackeln und Taschenlampen finden hier regelmäßig statt. Einen Wermutstropfen gibt es allerdings: Es geht über Geröll dahin, jeder Schritt will gut geplant sein, einfach hinaufsprinten funktioniert nicht. Wer es steiler mag, für den führt auch ein Weg von Westen des Berges zur Hütte auf 1860 Metern beziehungsweise zum Gipfel. Faulen Wanderern steht seit ein paar Jahren auch eine Bergbahn zur Verfügung.

Eigentlich gibt es diese schon länger, auch sie hat eine Geschichte: Der Gaustatoppen wurde während des Kalten Krieges militärisch als Radar- und Funkstation genutzt. Um diese ganzjährig erreichen zu können, wurde unter dem Fels eine Bergbahn errichtet, deren Existenz jahrzehntelang geheimgehalten wurde. Erst seit 2004 wird sie kommerziell genutzt und befördert Touristen zur Hütte, von der aus sie nach fünf bis zehn Minuten den Gipfel erreichen können.

Bootfahren auf dem Nisser-See

Die Telemark bietet Wanderern von Gipfeln bis Schären landschaftlich so ziemlich alles, was man von Norwegen erwartet – ausgenommen große Fjorde und wirklich hohe Berge. Letzteres stört insofern nicht, als dass man auch auf Eintausendern eine eindrucksvoll weite Sicht hat, wenn diese nicht von Nachbarbergen verstellt wird.

Doch auch die Täler der Telemark haben einiges zu bieten: Man kann zwischen den roten Häusern der Küstenstadt Langesund und dem Meer vorbeispazieren und verschiedene Apfelsorten bei den Obstbauern in Gvarv verkosten. Man kann das Porzellanmuseum in Porsgrunn besichtigen oder eine Bootsfahrt mit der MS Fram auf dem Nisser-See unternehmen, dabei Kaffee und Waffeln genießen und die Berge, die man zuvor bestiegen hat, stolz von unten betrachten. Oder man kann das Silberschmied-Museum in Vrådal besuchen, in dem die Handwerkerin Astrid Søftestad in stundenlanger Kleinarbeit Hochzeitsschmuck für regionale Trachtenkleider anfertigt.

Die verschreckten Fische

Auf dem Weg zum Gipfel des Venelifjell – von dem aus man trotz der relativ geringen Höhe von 900 Metern Blick aufs Meer sowie auf den Gaustatoppen hat – müssen wir einige Moore überwinden. Zwar sind dort Bretter ausgelegt, doch neigen diese zum Kippen, wenn man nicht in der Mitte daraufsteigt, sondern am Rand.

Am Venelitjønn-See machen wir halt, um uns in der Kunst des Angelns zu versuchen. Diesmal fangen wir nichts. Sigmund Straand, in dessen Hotel in Vrådal wir schließlich übernachten, versichert uns, dass das keineswegs mit unseren mangelnden Anglerkenntnissen zu tun habe, sondern lediglich damit, dass die Fische von so vielen Leuten abgeschreckt würden. Zum Glück haben wir Proviant mit.

Als wir unsere Wanderung auf dem Hochplateau in Lifjell starten, beginnt es wieder leicht zu regnen. Das macht die Wanderung herausfordernder – jeder Schritt will wohlüberlegt sein, sonst steht man mit einem Fuß im Moor –, aber auch reizvoller: Wir sind völlig allein auf dem Plateau mit seinen 20 Gipfeln über 1000 Meter Höhe, von dessen höchster Stelle aus wir weite Sicht auf die Dörfer der Umgebung haben. Schließlich kehren wir in einem Gasthaus ein und genießen norwegische Spezialitäten, von Fischgerichten bis hin zum karamellisierten Braunkäse.

Wer beim Wandern noch mehr Geschichte erfahren will, kann die Hütte von Sondre Norheim (er lebte von 1825 bis 1897) in Morgedal besuchen. Bei ihm handelt es sich – zumindest in der Überzeugung der Norweger – um den Erfinder des modernen Skisports. Er schlug sich Mitte des 19. Jahrhunderts in Morgedal als Skilehrer durch und experimentierte mit Skizubehör und Skitechniken, baute seine Holzskier selbst und erfand die Seilzug-Skibindung.

Eine Hütte und acht Kinder

Der Skipionier sprang von schneebedeckten Hausdächern, organisierte Skiwettbewerbe und perfektionierte seine Technik dermaßen, dass er bereits mehr als 30 Meter weit springen konnte – für das 19. Jahrhundert eine eindrucksvolle Leistung. Er erfand die Telemark-Technik, eine Skiabfahrtstechnik. Als im Jahr 1868 der erste landesweite Skiwettbewerb Norwegens stattfand, nahm Norheim im Alter von 42 Jahren teil – und gewann.

Norheims Hütte liegt eine Gehstunde vom Skimuseum entfernt. In diesem kann man unter anderem Skier und Skizubehör aus allen Jahrzehnten seit der Mitte des 19. Jahrhunderts bewundern, ab den Siebzigerjahren stellt sich Nostalgie ein. Die Hütte, die Sondre Norheim mit seiner Frau und acht Kindern bewohnt hat, besteht aus einem kleinen Raum, es gibt einen Tisch und ein Bett. Die Kinder mussten auf dem Boden schlafen, die kleinsten sogar in einer Kiste unter dem Bett. Schließlich wanderte die Familie in die USA aus.

Die Norweger sind dennoch stolz auf ihren großen Sohn: Kommt das olympische Feuer sonst aus Griechenland, so wurden die Fackeln für die Olympischen Winterspiele in Oslo 1952, Squaw Valley/USA 1960 und Lillehammer 1994 in Morgedal am Kamin von Norheims Hütte entzündet.

Reisen in die Telemark

Anreise: Für die Ankunft per Flug empfiehlt sich der Flughafen Sandefjord-Torp. Der liegt 120 Kilometer südlich von Oslo, einige Fluggesellschaften bezeichnen ihn dennoch als Oslo-Torp.

Hotels: Vic Hotel in Porsgrunn. Drei-Sterne-Hotel, in dem auch viele Konferenzen stattfinden. Die Hafenstadt Porsgrunn hat 36.000 Einwohner, eignet sich für Strandspaziergänge und beherbergt ein Porzellanmuseum. www.vichotel.no

Bø-Hotel in Bø mit Außenpools und Minigolfanlage. Von hier aus erreicht man schnell das Wander- und Skigebiet Lifjell.

Quality Straand Hotel in Vrådal, direkt am Nisser-See und neben dem Silberschmied-Museum, Buffet mit norwegischen Spezialitäten.
www.straand.no

Gaustablikk Høyfjellshotell, neben dem Gaustatoppen, dem höchsten Berg Südnorwegens. www.gaustablikk.no

Lokal: Becks Brasserie & Bar Osebro Porsgrunn: bekannt für seine Fischgerichte, Lokal einem Schiffsinneren nachempfunden.
www.becksbrasserie.no/porsgrunn

Weitere Informationen:
www.visitnorway.de
www.visittelemark.com

Compliance-Hinweis: Die Autorin war auf Einladung von Visit Norway in der Telemark.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.04.2018)

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