Tote am Golan: Staatsanwaltschaft Wien ermittelt

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Nicht nur das Heer selbst will die Vorkommnisse auf den Golan-Höhen mit einem raschen Bericht aufarbeiten. Auch die Behörden ermitteln. Auf Österreich könnten außerdem Schadenersatzforderungen zukommen.

Nach dem Vorfall mit österreichischen Blauhelm-Soldaten auf dem Golan wird der Untersuchungsbericht Ende Mai vorliegen. Das bestätigte der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Michael Bauer. Diese Woche sollen die Befragungen erfolgen. Zu klären ist der Vorwurf, ob die Bundesheer-Soldaten neun Syrer in den Tod geschickt haben und ob sie sie hätten warnen müssen.

Aber auch die Staatsanwaltschaft Wien ermittelt. Konkret wird geprüft, unter welchen Tatbestand das Vorgehen der Soldaten fallen könnte, bestätigte Behördensprecherin Nina Bussek dem "Standard" am Montag (Online-Ausgabe). Dem Vernehmen nach wird derzeit noch gegen unbekannt ermittelt, es geht vor allem um den Verdacht auf Mord durch Unterlassung.

Im Ö1-"Mittagsjournal" erklärte Heeressprecher Bauer, dass es Vorfälle "in dieser Art" wie Ende September 2012 "nahezu tagtäglich gegeben" habe. Die österreichischen Soldaten seien damals auf dem Golan fast täglich Zeugen von militärischen Handlungen, Toten und Verwundeten geworden, obwohl es eigentlich eine demilitarisierte Zone gewesen sei. Es sei auch lange Zeit so gewesen, dass in der Zone außer den UNO-Soldaten keine militärischen Kräfte waren. "Plötzlich hat sich das völlig geändert." Und die Bundesheer-Soldaten hätten "nicht mehr die Möglichkeit gehabt, das Mandat einzuhalten", so Bauer. Die UNO-Mission (UNDOF) hatte den Auftrag, den Waffenstillstand zwischen Israelis und Syrern zu überwachen.

Einem am Freitag von der Wiener Stadtzeitung "Falter" veröffentlichten Video zufolge haben österreichische Blauhelme Ende September 2012 auf den Golan-Höhen zugelassen, dass neun syrische Geheimpolizisten in den sicheren Tod fuhren. Laut dem Video beobachteten die Österreicher, wie bewaffnete syrische Oppositionelle einen Hinterhalt in der kargen Berglandschaft des Mount Hermon errichteten. Eine Stunde später ließen die Bundesheer-Blauhelme dann die neun Geheimpolizisten, die an ihrem Checkpoint anhielten, weiterfahren. Die Syrer wurden daraufhin erschossen.

"Befehl lautete: nicht einmischen"

Gegenüber den "Salzburger Nachrichten" (SN) hatte ein ehemaliger UNO-Soldat, der am Golan Dienst versehen hatte, am Wochenende seine Kameraden in Schutz genommen. Die Blauhelme hätten nur auf Befehl gehandelt, und der sei eindeutig gewesen. "Das haben mir die Kameraden nachher noch erzählt. Der Befehl lautete: nicht einmischen." Schließlich hätten sich die Österreicher auf den Golanhöhen neutral verhalten müssen. Der Ex-Soldat gab außerdem zu bedenken, dass sich die Österreicher andernfalls selbst in Gefahr gebracht hätten. Aufgrund der Ausrüstung hätten sie keine Chance gegen die schwer bewaffneten Rebellen gehabt. "Die Österreicher hatten keine kugelsicheren Westen und jeder nur 30 Schuss Munition. Wir waren nicht dort, um zu kämpfen", kommentierte der ehemalige UNO-Soldat die Beobachtermission der österreichischen Blauhelme.

"An sich endet der Gehorsam bei der Straftat, also dort, wo man sich strafbar machen würde", erklärt der Strafrechtsexperte und ehemalige Richter am Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien, Frank Höpfel, im SN-Gespräch (Montagausgabe). Doch auch hier müssten die genauen Umstände beleuchtet werden. Eine entscheidende Frage sei, was einer der österreichischen Soldaten, der offenbar mit den syrischen Polizisten vor dem Hinterhalt gesprochen hatte, zu dem Syrer gesagt hatte. Ein Kriegsverbrechen sieht Höpfel jedenfalls nicht. "Hier würde das allgemeine österreichische Strafrecht greifen", erklärt der Jurist.

Laut dem ehemaligen UNO-Soldaten, der in den SN seine Kameraden verteidigt, soll der Vizeleutnant, der mit den Syrern gesprochen hatte, mehrmals "be careful" (seid vorsichtig) gesagt haben. Auf dem Video ist das nicht zu hören. "So hat er es mir nachher erzählt, er durfte nicht mehr sagen", erklärt aber der Kamerad der betroffenen Soldaten. Ein anderer Soldat, der ab Dezember 2012 auf dem Golanhöhen stationiert war, sagte gegenüber dem "Kurier": "Viele, einschließlich mir, waren der Meinung, wenn man den neun Polizisten die Umstände verraten hätte, wäre unser Stützpunkt von den verschanzten Personen angegriffen worden."

Warnung trotz Neutralität "Pflicht"

Der Wiener Völkerrechtler Manfred Nowak meinte gegenüber der Austria Presse Agentur, dass die gebotene Neutralität nur zwischen den Konfliktparteien - in diesem Fall Israel und Syrien - gelte. Die Blauhelme hätten "die Pflicht gehabt, die Syrer zu warnen", betonte Nowak. Schlimmstenfalls könnte den UNO-Soldaten eine Anklage wegen Beihilfe zum Mord drohen, weil sie den Syrern "wider besseres Wissen eine falsche Auskunft gegeben" hätten.

Auch aus Sicht des Militärexperten Gerald Karner hätten die österreichischen Soldaten die Syrer auf jeden Fall warnen müssen. Die Szenen auf veröffentlichten Video seien "abstoßendst. Das widerspricht jedem soldatischen Ethos", sagte Karner zum "Standard".

Das Verteidigungsministerium verweist auf die Zuständigkeit der UNO: "Wir bilden diese Soldaten für die UN aus und übergeben diese Soldaten dann der UN", sagte Bauer zu Ö1. "Zuständig ist natürlich die UNO. Aber es ist natürlich unser erstes Anliegen aufzuklären, es geht um unser Image. Im konkreten Fall sei der Truppenkommandant ein Inder gewesen. Welche Befehle er erteilt habe, werde die Untersuchungskommission im Verteidigungsministerium jetzt analysieren und auswerten, so Bauer.

Ist Österreich haftbar?

Die UNO selbst schaltete sich in den Fall bereits ein. Ein Sprecher der UNO-Friedenstruppen sprach in der Nacht auf Freitag (Ortszeit) gegenüber der APA von einem "verstörenden Video". "Wir werden dieser Frage aktiv in Zusammenarbeit mit den österreichischen Behörden nachgehen", betonte er. "Die UNO erwartet von ihren Blauhelmen, dass sie zu aller Zeit die höchsten professionellen und ethischen Standards zeigen und befolgen."

Der Vorfall auf dem Golan könnte auch für die Republik Österreich rechtliche Konsequenzen haben, erklärten die auf Völkerrecht und internationalen Menschenrechtsschutz spezialisierten Juristen Matthias Edtmayer und Hannes Jöbstl dem "Standard". Konkret könnten Schadenersatzforderungen von Hinterbliebenen der syrischen Opfer drohen. Eine vergleichbare Entscheidung gibt es bereits aus den Niederlanden. Dort entschied ein Berufungsgericht im vergangenen Jahr, dass die Niederlande teilweise für die Untätigkeit der niederländischen UNO-Blauhelme in Srebrenica haftbar und zu Schadenersatz verpflichtet sind.

Das Bundesheer war seit 1974 auf den Golanhöhen stationiert. Österreich war jahrzehntelang der größte Truppensteller, bis im Juni 2013 überhastet ein mit Sicherheitsbedenken begründeter Abzug verkündet wurde. Dieser stieß damals auf scharfe Kritik.

>>> Interview auf "Ö1".

(APA)

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