„FPÖ, sagt's mir, was ist mit euch?“ Das Handelsabkommen wurde im Ministerrat beschlossen und im Parlament diskutiert. Das vorläufige Ende einer Geschichte mit Wendungen.
Wien. Die „Giftzähne“ seien gezogen worden, erklärten die FPÖ-Minister Norbert Hofer und Mario Kunasek vor dem Ministerrat. Und so konnte die FPÖ Ceta gestern zustimmen. Sie war lang gegen das Abkommen gewesen. Und das nützte die SPÖ in der nachfolgenden Nationalratssitzung dann auch aus. Europasprecher Jörg Leichtfried warf der FPÖ Verrat an ihren Wählern und am demokratischen Rechtsstaat vor. Mit einem Schild erinnerte er an das Versprechen von Vizekanzler Heinz-Christian Strache, der vor der Nationalratswahl eine „verbindliche Volksabstimmung“ zu Ceta gefordert hatte: „Können Sie sich selbst noch in den Spiegel schauen? FPÖ, sagt's mir, was ist mit euch?“
Die freiheitlichen Abgeordneten versetzte dies in Aufruhr. Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) war aufgrund permanenter Zwischenrufe gezwungen, Ordnung einzumahnen. Bruno Rossmann von der Liste Pilz sprach von einem blauen „Umfaller der Sonderklasse“. Die FPÖ beteuerte wiederum, dass sich die Situation „dramatisch“ geändert habe. Immer wieder zitierten die Abgeordneten der Regierungsparteien Ex-Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ), der Ceta 2016 noch als das beste Abkommen, das die EU je verhandelt habe, bezeichnet hatte.
Die Geschichte des europäisch-kanadischen Handelspakts beginnt vor 14 Jahren – in einer Ära, in der Globalisierungskritik nicht so virulent und populistische Reflexe nicht so ausgeprägt waren. Die ersten Sondierungsgespräche fanden 2004 statt, fünf Jahre später starteten die Verhandlungen. Seit Beginn stand die Frage der regulatorischen Zusammenarbeit zwischen der EU und Kanada im Vordergrund – kein Wunder angesichts der Tatsache, dass das transatlantische Zollniveau grosso modo niedrig war und divergierende Vorschriften und Normen immer mehr als Handelshemmnis gesehen wurden.
Es dauerte abermals fünf Jahre, bis das Abkommen fix und fertig ausverhandelt war. Zu Verhandlungsbeginn war eine Vereinbarung noch als unproblematisch angesehen worden, da die Kanadier in wirtschaftspolitischer Hinsicht sozusagen als „Ehreneuropäer“ galten – anders als die als ultraliberal verschrienen US-Amerikaner. Doch zum Zeitpunkt des Verhandlungsabschlusses im Sommer 2014 hatte sich die Lage verändert.
Die Finanzkrise, die 2008 von den USA ausgegangen war, ließ die Stimmung kippen, Ceta wurde in der Zwischenzeit als Blaupause für ein Abkommen mit den USA (über das seit 2013 verhandelt wurde) interpretiert. Und in den Vordergrund traten inhaltliche Aspekte, über die zuvor nicht debattiert worden war, weil EU-Kommission und kanadische Regierung unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt hatten. Die zwei größten Kritikpunkte haben Schutzklauseln für Investoren betroffen, die es ermöglichen, Streitigkeiten mit einem Gastland vor einem internationalen Schiedsgericht zu bereinigen, sowie die regulatorische Zusammenarbeit – also die Frage, ob Normen für die gehandelten Waren dies- und jenseits des Atlantiks in Arbeitsgruppen aneinander angepasst werden dürfen.
In den Mittelpunkt der innereuropäischen Debatten um Ceta rückte damit die Frage, ob es sich bei dem Pakt um ein sogenanntes Gemischtes Abkommen handelt, das der Zustimmung aller nationalen Parlamente bedarf – denn eigentlich zählt die Handelspolitik zur Kernkompetenz der EU-Kommission. Im Mai 2017 verschaffte ein EuGH-Urteil Klarheit: Falls ein Handelsabkommen in die gerichtliche Zuständigkeit der Mitgliedstaaten eingreift – was bei den Investorenschiedsgerichten der Fall war –, dann könne es nicht allein von den EU-Institutionen fixiert werden. Für die vollumfängliche Ratifizierung von Ceta ist das Okay aller nationalen Parlamente notwendig. (la/brun/e.s.)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.05.2018)