AK ignoriert türkis-blauen Auftrag zum Sparen

AK-PRÄSIDENTIN ANDERL
AK-PRÄSIDENTIN ANDERLAPA/HERBERT PFARRHOFER
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Die Regierung verlangt von den Kammern Einsparungen. Die Arbeiterkammer-Spitze denkt nicht daran, die Beiträge zu senken. Stattdessen soll es mehr Leistung geben. 150 Mio. Euro sollen in eine Digitalisierungsoffensive fließen.

Wien. Die Arbeitnehmervertreter sind in Aufruhr. Die Regierung hat ihnen die Rute ins Fenster gestellt. Am 30. Juni läuft ein Ultimatum aus. Bis dahin müssen die gesetzlichen Interessenvertretungen Reformprogramme vorlegen. Das Ziel ist mehr Effizienz und finanzielle Entlastung der Mitglieder. An Letzteres denkt man bei der Arbeiterkammer nicht. Sie will ihre 3,7 Millionen Mitglieder entlasten, indem sie ihnen ein „erweitertes Leistungsangebot“ zur Verfügung stellt. „Für das gleiche Geld“, wie AK-Präsidentin Renate Anderl am Freitag sagte.

150 Millionen Euro sollen in eine „Digitalisierungsoffensive“ fließen. Damit sollen Beschäftigte finanziell bei der Umschulung und Weiterbildung unterstützt werden. Ein Teil des Geldes ist für Unternehmen gedacht, die Mitarbeiter zu neuen Techniken weiterqualifizieren wollen. Auch Bildungseinrichtungen und Kommunen können sich um das Geld bewerben. Finanziert werden soll das unter anderem durch die Auflösung von Rücklagen und durch Kredite.

Alle Arbeitnehmer sind per Gesetz zur AK-Mitgliedschaft verpflichtet. Sie liefern monatlich 0,5 Prozent des Bruttolohns ab, höchstens 15 Euro im Monat. Die Arbeiterkammern nahmen im Vorjahr 450,8 Mio. Euro an Beiträgen ein. Zusätzlich verfügt die AK über ein Vermögen von mehr als einer halben Mrd. Euro, wie aus der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage der Neos aus 2017 hervor geht.

Foglar: „Etikettenschwindel“

Die Beiträge zu senken kommt für die AK-Spitze trotzdem nicht in Frage. Würde man die Umlage auf 0,4 Prozent reduzieren, würde das einem durchschnittlichen Mitglied nur 1,4 Euro im Monat ersparen, rechnete AK-Direktor Christoph Klein vor. Für die Kammer würde das aber einen Einnahmenverlust von 20 Prozent bedeuten – und entsprechend weniger Leistungen.

Gut möglich, dass die Arbeitnehmervertretung trotzdem bald mit weniger Geld auskommen muss. Die türkis-blaue Regierung hat „gesetzliche Maßnahmen“ angekündigt, falls die von den Interessenvertretungen vorgeschlagenen Maßnahmen „zu wenig“ erscheinen. Das könnte auch die Beiträge treffen. Ein „Etikettenschwindel“, findet Erich Foglar, der scheidende Präsident des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB): Die Regierung wolle lediglich die Rechte der Arbeitnehmer schwächen.

Sollten finanzielle Einschnitte per Gesetz verordnet werden, werde man rechtlich dagegen vorgehen, sagte der Tiroler AK-Präsident Erwin Zangerl. Zangerl, der auch Vizepräsident der Bundesarbeiterkammer ist, ist ÖVP-Mitglied, griff die türkis-blaue Regierung aber mehrmals scharf an. So auch am Freitag: Das Regierungsprogramm sei „von der Industrie diktiert“, die „Aufforderung der AK zur Selbstverstümmelung sei einzigartig in der Zweiten Republik. Die Gewerkschaft kündigte für nächste Woche Betriebsversammlungen gegen „Sozialabbau“ an.

Die Arbeitnehmerseite stößt sich unter anderem an der geplanten Arbeitszeitflexibilisierung. Die Regierung will bis Herbst ein Gesetz vorlegen, nachdem sich die Sozialpartner jahrelang nicht einigen konnten. Es soll künftig möglich sein, freiwillig bis zu zwölf Stunden täglich und 60 Stunden wöchentlich zu arbeiten. Im Durchschnitt soll die Höchstarbeitszeit von 48 Stunden erhalten bleiben. Die Arbeitnehmervertreter befürchten, dass Überstundenzuschläge wegfallen und Unternehmer einseitig diktieren können, wann mehr gearbeitet werden muss. Die Arbeitgeber bezeichnen das als „Märchen“. Die Flexibilisierung der Arbeitszeit nütze Betrieben und Beschäftigten.

Industrie kritisiert Umfrage

AK und ÖGB fahren seit Monaten eine Kampagne gegen die Flexibilisierung der Arbeitszeit. Inklusive einer Umfrage unter dem Titel „Wie soll Arbeit?“. Auszug aus dem Fragenkatalog: Soll der 12-Stunden-Tag und die 60-Stunden-Woche auch künftig die Ausnahme bleiben – und sämtliche Zuschläge erhalten bleiben? Sollen Menschen, die ihre Arbeit verlieren, weiter Unterstützung erhalten, ohne dass sie ihr Erspartes hergeben müssen? Die Zustimmungsraten lagen – wenig verwunderlich – bei 90 Prozent. Kritik kam von der Industriellenvereinigung: Es seien Suggestivfragen gestellt worden, die nur dazu dienen, bekannte Positionen abzunicken, so Generalsekretär Christoph Neumayer.

Ob die AK-Mitglieder mit der Kammerumlage zufrieden sind, wurde übrigens nicht abgefragt. Wenn das ein Thema wäre, „dann hätten die Mitglieder das ja in der Umfrage erwähnt. Das ist absolut nicht passiert“, so AK-Präsidentin Anderl. Daher sei man auf dem richtigen Weg. (bin)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.06.2018)

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