Grätzelbildung: Die Anziehungskraft des anderen

(c) Reuters (Herwig Prammer)
  • Drucken

Was zieht an? Zum Beispiel ein Lokal, das Leute in Gegenden bringt, die sie nie zuvor bewohnt hätten. Wie Viertel entdeckt werden und wie sie sich verändern.

Sie sind jung, sie sind schick, sie sind urban. Sie pfeifen darauf, wo man wohnt, ziehen lieber in Grätzel, die nicht auf den vorderen Plätzen der beliebtesten Wohnbezirke rangieren. Dorthin, wo es anders ist, das Leben bunter, der Quadratmeter günstiger. Mehr ihrer Art kommen nach, ebenso Lokale, Läden. Und so kann es passieren, dass aus einer „Naja“-Gegend ein Trendviertel wird. So geschehen vor Längerem schon am Spittelberg, und rund um Nasch-, Brunnen-, Yppen- und Karmelitermarkt in den vergangenen Jahren.

Lokal als Magnet

Was aber zieht die jungen Leute in diese Gegenden, von den niedrigeren Mieten abgesehen? Und was unterscheidet das eine, interessante Grätzel von dem gleich daneben, das nie und nimmer schick werden wird? Die Initialzündung für eine solche Entwicklung sei nicht selten ein Lokal, das gut funktioniert. „Erzwingen lässt sich das aber nicht“, meint Thomas Rohr, geschäftsführender Direktor bei der Conwert Immobilien Invest SE. Außerdem sollte die Gegend halbwegs nah am Zentrum liegen, ein Markt in der Umgebung schadet nie – und alter Gebäudebestand auch nicht.

„In gewachsenen Vierteln tut sich viel eher etwas als in künstlich hochgezogenen Stadtteilen“, sagt Rohr. Was auch helfen kann: „Wenn in der Stadtplanung und -entwicklung Impulse gesetzt werden. Diese spielen kräftig mit“, weiß Andreas Wollein, Geschäftsführer von Realpartners und Maklersprecher des Österreichischen Verbands der Immobilientreuhänder (ÖVI).

Den Freunden nach

Passt alles zusammen, spricht sich das herum. Schön langsam, denn „in Österreich geht so etwas nicht so schnell“, berichtet Rohr. Und dann suchen die Leute ihre Wohnungen dort, wo sie jemanden kennen. Wohin schon Freunde und Freunde von Freunden, wegen der Lage, wegen der Lokale gezogen sind, und sich wohlfühlen, erzählt Wollein.

Derzeit gelten, so eine aktuelle Auswertung der Plattform Immobilien.net, Mariahilf, Neubau und Alsergrund als die beliebtesten Bezirken in Sachen Wohnen, sowohl was Miete als auch Eigentum betrifft. Welche Grätzel ihnen in Zukunft möglicherweise ein wenig Konkurrenz machen werden? „Rund um den neuen Hauptbahnhof, das könnte etwas werden“, meint Wollein. Wie sich Teile des zweiten Bezirks – Stichwort neue Projekte am Nordbahnhof, Bau des WU-Campus – entwickeln werden, bleibe abzuwarten. „Die Lage ist ohne Zweifel gut. Aber wie es mit der Beliebtheit aussieht, wird sich erst weisen.“

Leben ins Parterre

Für Rohr könnte die Gegend rund um die Neubaugasse ein künftiges Trendviertel sein – nicht nur fürs Shoppen, sondern auch fürs Wohnen. Ein Indiz: „In internationalen Reiseführern wird diese Gegend oft als Tipp abseits des Mainstreams genannt.“ Auch Teile von Mariahilf, die bislang nicht so gefragt sind, könnten aufholen. Potenzial sieht er ebenso rund um die Rossauer Lände. Was es aus Sicht eines Bauträgers braucht, um auf solche Grätzel zu setzen? „Viel Mut“, sagt Rohr. Und erzwingen ließe sich ohnehin nichts.

Helfen könnten – abseits von Lokaleröffnungen – aber ein paar gezielte Maßnahmen. Etwa das Beleben der Parterreflächen unten in den Wohngebäuden. „Stehen diese leer, ist das ganz schlecht. Da ist es besser, sie günstig zu vergeben, beispielsweise an junge Künstler zu Konditionen, die ihnen entgegenkommen.“ Dies vermittle den Bewohnern der Gegend ein Gefühl der Sicherheit.

Irgendwann kommen dann Bauträger und Investoren, bauen neue Wohnungen, revitalisieren alte. Es kommen mehr – und andere – Lokale und Läden, die Preise steigen – Stichwort Gentrifzierung (siehe Infobox auf Seite I 1).So mancher zieht dann weiter, dorthin, wo das Leben bunter, der Quadratmeter günstiger ist. Aber so mancher bleibt auch dort, wo er ist. Und verändert sich, genauso wie sein Grätzel wird wie sein Viertel ein wenig gesetzter, ein bisschen etablierter.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.03.2010)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.