Wiener Festwochen: Experiment abgebrochen

Die Kritik sei „aus meiner Sicht ungerechtfertigt“ gewesen, teilte Tomas Zierhofer-Kin mit. Sein Abgang nach zwei Jahren sei aber freiwillig.
Die Kritik sei „aus meiner Sicht ungerechtfertigt“ gewesen, teilte Tomas Zierhofer-Kin mit. Sein Abgang nach zwei Jahren sei aber freiwillig. (c) ROLAND SCHLAGER / APA / pictured (ROLAND SCHLAGER)
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Tomas Zierhofer-Kin gibt nach anhaltender Kritik an seinem Programm die Leitung ab. Die Entscheidung sei „konsensual“ getroffen worden, so Stadträtin Kaup-Hasler.

Am Sonntag gingen die Wiener Festwochen zu Ende, zwei Tage später waren sie auch für ihren Intendanten, Tomas Zierhofer-Kin, Geschichte – endgültig. Nach zwei Jahren wird sein Vertrag aufgelöst. Das sei auf seinen eigenen Vorschlag hin passiert, erklärte er in einer Aussendung: Er sei „trotz vieler künstlerischer Erfolge und der gelungenen Bemühungen, ein für die Festwochen neues Publikum zu gewinnen, auf keine breitere Resonanz gestoßen“. In einem Gespräch mit Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler, Festwochen-Präsident Rudolf Scholten und -Geschäftsführer Wolfgang Weis wurde am Montag vereinbart, dass er die Leitung Ende Juni abgibt.

Man könnte auch sagen: Ein kulturpolitisches Experiment wurde vorzeitig abgebrochen. In der Aussendung bemühten sich die Beteiligten um freundliche Phrasen. Der Entschluss sei „konsensual“ getroffen worden, teilte Kaup-Hasler mit, die damit ihre erste Entscheidung als Kulturstadträtin trifft. Schon vorab hatte sie dem Noch-Festwochen-Intendanten klärende Gespräche in Aussicht gestellt. „Ich weiß, was eine derartige Neuorientierung, die Zierhofer-Kin vorgenommen hat, auf allen Ebenen bedeutet.“ Seine Neukonzeption des erstmals 1927 aus dem Boden gestampften und in seiner jetzigen Form seit 1951 bestehenden Festivals war von Presse und Publikum abgelehnt worden. Zierhofer-Kin spricht von „aus meiner Sicht ungerechtfertigter Kritik“.

Tatsächlich war manche Idee seines Erneuerungsplans von der Stadt Wien einst explizit gewünscht worden: Als der damalige Wiener Kulturstadtrat, Andreas Mailath-Pokorny, im November 2014 Zierhofer-Kin, der als Leiter des Kremser Donaufestivals international reüssiert hatte, als nächsten Festwochen-Intendanten präsentierte, lobte er dessen Fähigkeit, „schwer fassbaren“ Kunstformen eine Öffentlichkeit zu geben, und betonte die Notwendigkeit, in einer rasch wachsenden Stadt wie Wien Brücken zu neuem Publikum zu schlagen. Dass sich die Festwochen „von ihrer Programmatik her auch an den Rand“ der Stadt begeben, war auch für Festwochen-Präsident Scholten längst überfällig: Das Festival könne nicht mehr mit dem üblichen Zelebrieren in Innenstadt-Tempeln auskommen, hieß es.

Partys in der Peripherie

Zierhofer bekam einen Fünfjahresvertrag und versprach, seine Arme für künstlerische Rand- und Hybridformen „weit offen“ zu halten, neues Publikum anzulocken und das etablierte Publikum mit neuen Formaten zu konfrontieren. Clubkultur sollte in seinen Festwochen genauso vertreten sein wie die Hochkultur. In der Praxis sah das so aus: Statt hochkarätigem Welttheater oder aufwendiger Eigenproduktionen gab es – bei gleichbleibendem Budget von 12,5 Millionen Euro – kleine Performances, statt aufsehenerregender Oper oder Musik-Avantgarde eine neue Party-Schiene in der Wiener Peripherie. Zugunsten mehr elektronischer Musik kündigte Zierhofer-Kin auch die traditionelle Kooperation mit abwechselnd Musikverein und Konzerthaus auf. Und setzte auf einen Diskursschwerpunkt, in dem die Vorsilbe „post“ (-identitär, -kolonialistisch, -orientalistisch) die Hauptrolle zu spielen schien. Underground statt Hochglanz, hieß die Devise, verschwurbelt statt einladend präsentierte sich das im Programm.

Bei Kritikern kam das nicht gut an. Aufgeblasen, irrelevant, qualitativ minderwertig, lautete das ziemlich einstimmige Urteil. „Ein Absturz in die Bedeutungslosigkeit“, titelte „Presse“-Kritiker Norbert Mayer. Das angestammte Festwochen-Publikum fühlte sich belehrt, ignoriert, gelangweilt. Auch die Auslastung sank im Vergleich zu den Saisonen unter Markus Hinterhäuser.

„Wir werden den Kurs konsequent weitergehen“, sagte Zierhofer-Kin dennoch am Ende seiner ersten Festwochen-Saison – um kurz darauf doch zwei Drittel seines Kuratorenteams auszutauschen. Bei der Programmpräsentation für 2018 ließ er Selbstkritik erkennen. Er habe aus den Fehlern des Vorjahres gelernt. „Beim Durchblättern des Programmbuchs hatte man das Gefühl, es ist ein postkoloniales Diskursfestival.“ Die neue Ausgabe sollte „nichts Sektiererisches“ mehr haben, „immersiv“ und anti-elitär sollte sie ein. Viel Musiktheater gab es nicht, das Theatervakuum vom Vorjahr füllte man mit ein paar Gastspielen, die zum Teil mehrere Jahre alt waren. Insgesamt präsentierte sich das Programm weniger spröde, der gewünschte Erfolg blieb aber aus. Nur die Gösser-Hallen hinter dem Hauptbahnhof, wo (vor allem junge) Besucher sitzen, etwas trinken und sich zwischendurch eine künstlerische Arbeit ansehen konnten, vermochte Zierhofer-Kin als neuen Spielort zu etablieren. Die tatsächlichen Besucherzahlen der heurigen Ausgabe sollen am Donnerstag präsentiert werden.

Ein paar Ideen hatte er noch

Für die nächsten Jahre hätte Zierhofer-Kin noch ein paar Ideen gehabt. 2020 wollte er – wohl als Reaktion auf seine Kritiker – auf Musiktheater setzen. Nächstes Jahr hätte Paul McCarthy die Festwochen dominieren sollen. Bei einem Vorgeschmack heuer ließ der US-Künstler in einem Video Penisse abhacken und Fäkalien verzehren. Ob die geplante 25-Stunden-Version 2019 kommt, muss der nächste Intendant entscheiden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.06.2018)

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