Kommentar

Zierhofer-Kins Förderprogramm für irrelevante Kunst

Der Intendant vertraute auf die Kraft der Phrasenkunst.

Wenn etwas desaströs falsch gelaufen ist in einer Firma, einer Partei, und der Chef wusste Bescheid, übernimmt er im verantwortungsvollen Fall die Verantwortung. Und geht. Als das erste Festwochen-Jahr des Kulturmanagers Tomas Zierhofer-Kin zum Programmdesaster geriet, zur sektiererischen postkolonialistischen und gendertheoretischen Diskursdemonstration, zog er die Konsequenz; allerdings nicht die von vielen erwartete: Er tauschte zwei Kuratoren aus – und blieb.

Heuer ging es im Programmheft kaum noch um die "Heterotopie postidentitärer Wirklichkeiten", "ontologischen" oder "Heteroterrorismus" und "queere ekstatische Widerstandspraxis". Und Tomas Zierhofer-Kin versprach: „Die Festwochen 2018 wollen sich weder anmaßen, die Welt zu verstehen, noch, sie zu erklären; wir vertrauen auf die Kraft der Kunst.“

War es Unwille oder Unfähigkeit? Man hat es jedenfalls – wieder – nicht getan. Sondern vertraute, dem Ergebnis nach zu schließen, bei der Auswahl vor allem dem Anschein: auffälligen Zugängen mit als unmittelbar relevant erachteter Botschaft; Modekünstlern; Produktionen, die von Klassikern ausgehen und doch sehr „neuartig“ wirken; mögen sie auch schon etliche Jahre alt sein.

Kritik an Fremdenfeindlichkeit in Geisterbahnform („Phobiarama“)? Klingt fein, schon gebucht. Eine Künstlerin, die multimediale „Kommentare zu gesellschaftlichen Realitäten unserer Zeit und einer Welt im Zustand der Krise“ liefert und auch noch auf Shakespeare anspielt („The Walking Forest“)? Wie erregend. Ein Starregisseur, kombiniert mit Mozarts „Requiem“ und dem Thema Gemeinschaftsbildung („1000 Gestures“)? Besser geht's nicht. Passt die Phrase, die reizt, wird der Inhalt schon stimmen. Natürlich war nicht alles missglückt. Doch der Blick auf Verpackungsslogans statt Substanz und das zwanghafte Bemühen um „relevanten Diskurs“ bewirkte insgesamt das Gegenteil: irrelevante Kunst.

Wenn junge Laiendarsteller vorführen, was Tschechows „Onkel Wanja“ mit ihrer Befindlichkeit zu tun hat, ist das sozial verdienstvoll. Festwochenwert hat es nicht. Hier war es zumindest sehr verzeihlich, anderswo nicht, dass die Substanz in der Auseinandersetzung mit großen Bühnenwerken so dünn, naiv, trivial ausfiel.

Ein Kunstfestival sollte nicht in erster Linie das Denken in der Kunst suchen, Künstler sind nicht immer tolle Denker. Würde aber wenigstens Denken gesucht! Statt korrekt klingender Schlagwörter, engagierter Pose.

Man denkt zurück an die Festwochen 2017, die mit queeren, postkolonialen Performances Migranten ins Performeum locken wollten. Grotesk weltfern. Natürlich blieb man unter sich, in der angeblich multikulturellen, tatsächlich uniformen Blase. War das nicht der gleiche Fehler? Nicht genauer hinzusehen.

Nun geht Zierhofer-Kin, freiwillig, heißt es. Wiens festivalerfahrene neue Kulturstadträtin hat ihm doch noch zum anständigen Ende verholfen.

anne-catherine.simon@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.06.2018)

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