Theaterpause: Für zwanzig Minuten den Text vergessen

Markus Meyer
Markus Meyer(c) die Presse (Carolina Frank)
  • Drucken

Was passiert hinter den Kulissen, während die Theaterbesucher in der Pause Sekt schlürfen? Ein Blick hinter, neben und unter drei Bühnen.

Der Schauspieler schwitzt. Gefühlt eine Sekunde hat er, um am Bühnenrand zu verweilen – wobei verweilen natürlich der völlig falsche Ausdruck ist. Während er nämlich einen Schluck Wasser nimmt und in Gummistiefel steigt, streift ihm eine Ankleiderin eine Jacke über, eine andere nimmt ihm den Hut ab, eine Maskenbildnerin klebt ihm einen Schnurrbart auf, die Requisite drückt ihm eine Mistgabel in die Hand – und gleichzeitig schieben allerlei Leute allerlei Mobiliar hinter, vor und neben ihm durch den kleinen Bereich, der nur durch eine am Boden mit Klebeband markierte Linie vom Rampenlicht entfernt ist und während der Vorstellung Ort eines ganz eigenen, routiniert hektischen Schauspiels.

Und schon stolpert der Darsteller wieder auf die Bühne, mit einer Leichtigkeit, als hätte er in diesem Stück niemand anders zu verkörpern als diesen Bauern – und nicht auch noch einen Polizisten, eine Putzfrau, einen versoffenen Wirt, eine elegante Dame und noch ein paar mehr Rollen. Die Hitchcock-Adaption „Die 39 Stufen“, an den Kammerspielen der Josefstadt ein Hit der zu Ende gehenden Saison, ist hier ein Parforceritt mit unzähligen rasanten Bühnenbild- und Kostümwechseln. Da ist man auch als Beobachterin fast erleichtert, als die Inspizientin durch ihr Mikrofon eine Botschaft in alle Räume hinter der Bühne schickt: „Es ist kurz vor der Pause.“

Wenige Minuten später geht dann auch das Licht aus. Aus Publikumssicht ist die Funktion der Theaterpause klar: Man vertritt sich kurz die Beine, widmet sich körperlichen Bedürfnissen oder einer dringenden Whats­App-Nachricht, schlürft Sekt-Orange, isst Lachsbrötchen, unterhält sich. Hinter den Kulissen der Kammerspiele können zumindest ein paar der Beteiligten das tun, was auch die Zuschauer draußen machen: Pause. Michaela Becke, die Inspizientin, die während der Vorstellung das Bühnengeschehen über zwei Bildschirme verfolgt, den Stücktext mitgelesen, per Knopfdruck Nebel- und Soundeffekte gesteuert und den vielen Mitarbeitern in den Seitenbühnen Einsätze und Signale geschickt hat, verzieht sich in die Raucherlounge. Die Ankleiderinnen – vier sind bei dieser Produktion im Einsatz – haben im Minutentakt die Schauspieler aus- und angezogen, jetzt breiten sie die Kostüme für die zweite Halbzeit in der richtigen Reihenfolge auf ein paar Stühlen aus. Checkliste brauchen sie dazu keine mehr: „Wir spielen das zum gefühlt 70. Mal“, sagt eine von ihnen. Wenn ein Zipp oder Knopf reißt, müssen sie in der Pause nachnähen gehen, bei historischen Kostümen, deren Stoff sich langsam auflöst, kann es schon mal heikel werden. An diesem Abend aber halten alle Nähte – und die Ankleiderinnen können durchatmen.

Seile und Handtücher

Auf der Bühne stehen indessen weit mehr Leute als im ganzen Stück. Ein Techniker montiert Puppen, die im zweiten Teil vorkommen werden, hinter einem Kulissenteil. Ein anderer fixiert ein bühnenbreites Transparent, säuberlich zusammengefaltet, hinter einem Gummiseil und bindet es mit einem Karabiner fest: Später wird es quer über die Bühne gezogen werden. Anderswo wird an der Beleuchtung geschraubt, riesige Reisekoffer werden gestapelt: geschäftiges, aber nicht gehetztes Treiben. Jeder Handgriff sitzt.

(c) die Presse (Carolina Frank)

In den Schauspielergarderoben hüllt man sich währenddessen in Handtücher und genießt die Annehmlichkeiten des Sitzens. Nach den vielen Kostümwechseln unter Sekundendruck ist in diesen 20 Minuten fürs Umziehen quasi ewig Zeit. Zeit, um zu entspannen.

Schreckmoment

Das fällt auch Markus Meyer nicht schwer. Anderer Abend, anderes Theater: An der Burg spielt Meyer heute den Truffaldino im „Diener zweier Herren“ von Goldoni. Auch aufwendige Rollen wie diese bringen ihn nicht aus der Ruhe. Vor den Vorstellungen hält er gern einen „Powernap“. Dass ihn der Inspizient aus diesem aufwecken musste – mit der gefürchteten Aufforderung „Herr Meyer, auf die Bühne“ – sei „zum Glück“ noch nicht passiert. In der Pause entspannt sich Meyer ganz einfach, memoriert noch einmal die Textpassagen, die er als Nächstes braucht, oder unterhält sich mit Kollegen.

Viele Stücke haben heute keine Pause mehr, was auch Vorteile habe, findet der Künstler: Weil man dann nicht herausgerissen werde und wieder einsteigen müsse. Sein schwierigstes Pausenerlebnis sei gewesen, als er für die verletzte Caroline Peters als Kammermädchen Toinette im „Eingebildeten Kranken“ in der letzten Probenwoche einsprang. Joachim Meyerhoff spielte die Hauptrolle. Als er mit ihm in der Pause der Premiere den Text durchnahm, hatte Meyer einen Hänger nach dem anderen, erzählt er mit Schaudern. Auf der Bühne sei der Text wie durch ein Wunder aber wieder da gewesen. Nachdem Meyer 2013 bei der zweiten Vorstellung nach der Premiere den erkrankten Johannes Krisch in der Hauptrolle von Nestroys „Talisman“ ersetzen musste, in einer rasanten Inszenierung – für das Studium der Rolle hatte Meyer gerade eine Woche Zeit –, kann ihn fast nichts mehr schrecken.
Angst kennt Meyer nicht, im Notfall sei ja die Souffleuse da. Und jetzt träumt der Künstler zunächst einmal nicht von der kleinen, sondern von der großen Pause, den Sommerferien, in denen er auf Mallorca im Meer schwimmen wird.

Stücktext? Nein, Kreuzworträtsel!

Die nahende Sommerpause ist auch im Renaissancetheater zu spüren, wo das Theater der Jugend seine letzte Inszenierung der Saison spielt. „Die großen Abenteuer der kleinen Sara Crewe“ ist für das Personal eine ruhige Angelegenheit: Hinter der Bühne ist hier relativ wenig zu tun. Im Keller des Hauses hört man den Applaus nur schwach, als Hauptdarstellerin Claudia Waldherr aus dem Käfig klettert. Gerade ist sie per Hubpodium vom Bühnenboden verschluckt worden, jetzt steigt sie lachend durch die Gittertür. Ein Stockwerk höher begibt sich Soffi Schweighofer in die Maske, um ihr Mikrofonkabel ins Haar einflechten zu lassen: Sie wird in der zweiten Hälfte eine (auch frisurentechnische) Verwandlung durchmachen – damit das Mikrofon, das an der Stirn klebt, auch bei offenen Haaren hält, wird es jetzt durch einen unsichtbaren Zopf fixiert. Auf der Seitenbühne bringen die Techniker mittels Seilzug die großen Flügeltüren des Bühnenbilds in Position. Einer sitzt währenddessen mit einer Lampe über einen Stapel Papier gebeugt. Der Stücktext? Nein, erklärt ein Kollege: Kreuzworträtsel!

(c) die Presse (Carolina Frank)

Hinter den Kulissen der Kammerspiele geht ein Lachen durch den Gang. Gerade ist Boris Pfeifer noch halb entkleidet mit einem Kuchenstück vorbeigehuscht, nun ist dieses verputzt und er trägt Wampe. Das ging schnell! „Da ist aber keine Butter drin . . .?“, säuselt er scherzhaft. Der Wattebauch ist Teil seines nächsten Kostüms. Die Inspizientin läuft federnden Gangs zu ihrem Platz: „Auf zum gemütlichen Teil!“ Wenig später hört man ihre Stimme wieder, durch die Lautsprecher. „Die Kollegen der Requisite, Garderobe und Maske – auf Position bitte.“ Bald stehen alle auf ihren Plätzen und schauen gespannt auf die Bühne, wo der eiserne Vorhang in den Boden hinabgleitet. Die Pause ist vorbei. Jetzt beginnt der eigentliche Spaß.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.