Westen und Afrika: Die Wiederentdeckung eines Kontinents

Direktinvestitionen in Afrika
Direktinvestitionen in AfrikaQuelle: UNCTAD / Grafik: "Die Presse"
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Die deutsche Kanzlerin will die Migration eindämmen und zugleich das Vakuum, das Trump öffnet, für die Wirtschaft nutzen.

Wien. Bei der Eröffnung der Tschadsee-Konferenz in Berlin fehlte es gestern nicht an dramatischen Warnungen. In der Region um den arg geschrumpften Tschadsee, im Einzugsbereich des Tschad, von Kamerun, Niger und Nigeria, spiele sich „eines der größten humanitären Dramen unserer Zeit“ ab, sagte Heiko Maas, der deutsche Außenminister. „Wir können uns nicht erlauben, wegzuschauen, wenn die Nachbarn unserer Nachbarn destabilisiert werden.“ Bedroht von Armut, Klimawandel und islamischen Extremismus könnte sich in der Sahelzone die nächste Flüchtlingskrise zusammenbrauen.

Afrika war nach der Rückkehr von Angela Merkel und Gerd Müller, ihrem Entwicklungsminister, von Reisen auf den Kontinent ohnehin gerade Thema in Deutschland. Nach der Flüchtlingswelle vor drei Jahren ist das Bewusstsein in Berlin geschärft, die Einwanderung nach Europa rigoros einzudämmen – und zugleich die wirtschaftliche Entwicklung in den Herkunftsländern zu forcieren, weg von der klassischen Entwicklungshilfe. „Ich glaube fest daran, dass es eine prosperierende Europäische Union nur geben kann, wenn wir mit den Fragen der Migration, der Partnerschaft mit Afrika klarkommen“, lautete das Fazit der Kanzlerin nach einem Westafrika-Trip. In drei Tagen hatte sie Senegal, Ghana und Nigeria besucht, und im Präsidentenpalast der nigerianischen Hauptstadt Abuja hätte sie beinahe der britischen Premierministerin Theresa May die Klinke in die Hand gedrückt.

Kompensation für Brexit

May war nach Südafrika, Kenia und Nigeria aufgebrochen, um als Regierungschefin der früheren Kolonialmacht an Commonwealth-Bande anzuknüpfen, die Handelsbeziehungen zu Afrika zu stärken und so die Verluste durch den Brexit zu kompensieren. Sie versprach Investitionen von vier Milliarden Pfund und setzte sich das ambitionierte Ziel, in Afrika bis 2022 zur führenden Handelsnation unter den G7-Staaten, den wichtigsten westlichen Industriestaaten, zu avancieren.

Wie im 19. Jahrhundert hat das große Wettrennen nach Afrika eingesetzt. Die Präsidenten Chinas und der Türkei, Xi Jinping Recep Tayyip Erdoğan, hatten bei ihren Visiten in Westafrika vor wenigen Wochen die Nase vorne. Die Türkei mischt in Afrikas islamischen Staaten mit, auch Saudiarabien und Indien engagieren sich in größerem Stil.

Deutschland will nun aufholen. Bei den Direktinvestitionen in Afrika liegt es nicht einmal unter den Top-Ten-Nationen, mit bisher zehn Milliarden Euro sogar noch hinter der Schweiz, weit abgeschlagen hinter den USA, Großbritannien, Frankreich und China. Nicht einmal 1000 deutsche Firmen haben in Afrika eine Niederlassung, die Unternehmen scheuen das Risiko und die Korruption. In Merkels Schlepptau befand sich mit Siemens-Chef Joe Kaeser lediglich einer der großen Wirtschaftskapitäne des Landes.

Die USA, immer noch größter Investor, ziehen sich tendenziell – zumindest politisch – aus Afrika zurück. Die Zeit der großen Initiativen unter Bill Clinton, George W. Bush und Barack Obama ist vorbei. Donald Trump, der afrikanische Länder als „shithole states“ beschimpft hat, hat seinen Fuß als Präsident in eineinhalb Jahren noch nicht auf den Kontinent gesetzt. Nur seine Frau Melania wird sich bald in Afrika umtun.

Es tut sich ein Vakuum auf – für Merkel, May und Emmanuel Macron, der wie seine Vorgänger die Frankophonie hochhält. Die deutsche Kanzlerin hat beim G20-Gipfel in Hamburg im Vorjahr neuerlich einen Afrika-Akzent gesetzt, eine Variation des Marshall-Plans. Jetzt sprach sie von „unentdecktem Terrain“ und „Entwicklungspotenzial“. Ihr Minister Müller schwärmte gar von einer „Jahrhundertchance“: „In den nächsten zehn Jahren wird in Afrika mehr gebaut werden als in ganz Europa in den letzten 100 Jahren.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.09.2018)

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