Warum es kein Zurück vom Brexit gibt

Nicht alle Briten sind über den Brexit erfreut.
Nicht alle Briten sind über den Brexit erfreut.REUTERS
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Wie es so weit kommen konnte, dass Großbritannien lieber sich selbst und ganz Europa schadet, als einen historischen Fehler einzugestehen.

Warum kann Großbritannien nicht einfach zurück? Warum kann es sich nicht eingestehen, dass es sich in seinen Träumen von mehr Souveränität, unabhängigem Wohlstand und neuer Freiheit verrannt hat? Es liegt nicht an der mangelnden intellektuellen Kapazität, an glaubwürdigen Studien, auch nicht an seiner Debattenkultur. Es liegt an Missverständnissen, die zwischen der politischen Elite und der von Stimmungen beeinflussten Bevölkerung entstanden sind. Denn es wurde von bedeutenden politischen Kräften vor dem Brexit-Referendum 2016, bei den Wahlen 2017 und noch danach eine lieb gewonnene Illusion verbreitet: Großbritannien könnte wieder alles selbst bestimmen; die besseren – weil britischen – Menschen würden wieder an Einfluss gewinnen. Es brauche nur verschlossene Grenzen und das Zurücklegen der Klubmitgliedschaft.

Natürlich darf nicht verschwiegen werden, dass die Entfremdung von der EU auch gute Gründe hatte. Die Brüsseler Bürokratie hat über die Jahre ein Eigenleben entwickelt, mit dem sie sich von den Bürgern und den Bedürfnissen vieler Klein- und Mittelbetriebe entfernte. Mit 28 Mitgliedstaaten und ihren Einzelinteressen ist die Gemeinschaft außerdem zu schwerfällig geworden, um auf Krisen und Herausforderungen einer globalen Welt verlässlich zu reagieren.

Jetzt, zwei Jahre nach dem Referendum, erkennen in Großbritannien immer mehr, dass der EU-Austritt in keiner Weise dazu beitragen wird, die eigenen Träume von einem alternativen Weg zu verwirklichen. Sogar Premierministerin Theresa May musste dies eingestehen und sucht mittlerweile – zum Ärger der Brexit-Fundamentalisten in ihrer eigenen Partei – nach einem Kompromiss mit Brüssel. Kommt es nämlich zu einem Austritt ohne Folgeabkommen mit der EU, ist mittelfristig mit einem Wohlstandseinbruch, steigender Arbeitslosigkeit und neuen Unsicherheiten durch einen deutlich unmittelbareren Einfluss weltwirtschaftlichen Verwerfungen zu rechnen. Die Teilnahme am relativ stabilen EU-Binnenmarkt hatte das bisher abgefedert.

Die Auswirkungen dieser Trennung werden nicht nur Großbritannien selbst, sondern auch die mit der Insel verwobenen Volkswirtschaften in der Rest-EU treffen. Vor zehn Jahren fürchteten alle, die Griechenland-Krise könnte ganz Europa in den Abgrund ziehen. Es war ein unnötiges Drohszenario. Der Anteil des hoch verschuldeten Landes an der gesamten EU-Wirtschaftsleistung beträgt gerade einmal 1,1 Prozent, jener von Großbritannien aber 15,2 Prozent. In der Dimension war der drohende Grexit mit dem Brexit nicht vergleichbar. Die drittgrößte Volkswirtschaft der EU aus dem Verbund mit ihren europäischen Partnern zu reißen, wird eine riesige Wunde hinterlassen. Kommt es zum ungeordneten Austritt, sind alle vier Freiheiten des Binnenmarkts – freier Waren-, Dienstleistungs-, Kapital- und Personenverkehr – betroffen.


Es wäre absurd, wenn sich gerade das wirtschaftsliberalste Land Europas bereit machen würde, sich hinter kontrollierten Zollmauern einzuquartieren, nur weil es zu stolz ist, einen Fehler einzugestehen. Premierministerin May, die viel zu lang selbst die Illusionen von besseren Zeiten nach dem EU-Austritt verbreitet hatte, lehnt ein zweites Brexit-Referendum strikt ab. Sie vertritt wie viele ihrer Landsleute die Ansicht, dass es „Betrug an der Demokratie“ wäre.

Das ist zwar löblich, macht die britische Regierung aber in dieser Phase unflexibel. London kann einerseits kein Abkommen mit der EU erzwingen, das die Vorteile der Mitgliedschaft erhält und gleichzeitig bisherige Verpflichtungen und rechtliche Bindungen beendet. Andererseits würde ein Kompromiss in Form einer weiteren Anbindung samt Übernahme von EU-Regeln die Versprechungen von einer Rückkehr zur Souveränität Lügen strafen. Die Verhandlungen über den Austritt sind in eine Sackgasse geraten, aus der die Briten nicht ohne Schaden herauskommen werden. Es sei denn, es gibt eine Änderung in der Führung des Landes und ein Nachfolger von Theresa May findet doch noch den Rückwärtsgang.

E-Mails an: wolfgang.boehm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.09.2018)

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