Die vierzigste Ausgabe des „Gault Millau“ erscheint. Im ersten Guide hatte Österreich gerade einmal 16 Haubenlokale.
„Man glaubt nicht, wie viele Leute bei uns anfragen, ob sie nicht Tester werden können", sagt Karl Hohenlohe. „Ich frage dann immer, in welchen internationalen Restaurants waren Sie denn in letzter Zeit essen? Man muss ja vergleichen können." Häufige Antwort: „Naja, international nicht, aber wir gehen in unserer Gegend gern in dieses und jenes Lokal." Karl und Martina Hohenlohe haben 2005 den österreichischen „Gault Millau" von Michael Reinartz übernommen. Heuer feiert der Guide seine vierzigste Ausgabe. „Wusstest du, dass es 2005 unsere erste Amtshandlung war, das Steirereck von 19 auf 17 Punkte herabzustufen?", fragt sie ihren Mann. „Stimmt, die sind damals gerade von der Rasumofskygasse in den Stadtpark übersiedelt . . ."
Als Michael Reinartz im Herbst 1979, übrigens als weltweit erste Lizenz des französischen Guides, die erste österreichische Ausgabe, jene für 1980, herausbrachte, sei er wüst beschimpft worden, hätte vielfaches Lokalverbot bekommen, weiß Karl Hohenlohe. „Die Wirte waren ja nicht gewohnt, kritisiert zu werden. Man muss sich zum Beispiel einmal die Sacher-Kritik anschauen." Dessen Küche sei in tiefen Schlaf versunken, steht da, „die zahlreichen Kellner gehen zwar auf und ab und füllen unsere Gläser erstmals nach fast einer Stunde, als sie uns tatsächlich auch das Essen bringen: mittelmäßige Wildpastete in geschmacklosem Aspik mit Salatgemisch und Mayonnaisekartoffeln. Der versalzene, zu lange gekochte Fisch schmeckte nach Kühlschrank, die Schollenfilets mit Letscho und Banane (!) nach Packpapier." „Letscho und Banane!", ruft Karl Hohenlohe.„Das ist doch ungefähr das Grauslichste, was man sich vorstellen kann", meint Martina Hohenlohe.
„Neue Wiener Küche". „Wien war in der ersten Ausgabe ganz mies", sagt sie. Das beste Restaurant Österreichs war das Eschlböck am Mondsee mit 16 von (hierzulande bis dato noch nie vergebenen) 20 Punkten. Aber die Zeit für Restaurantführer sei offenbar auch in dieser kulinarischen Wüste reif gewesen. „Der erste ,Gault Millau‘ ist im Herbst 1979 erschienen, der erste ,Falstaff‘ 1980, das erste ,Wien, wie es isst‘ vom ,Falter‘ im Jahr 1982", zählt Hohenlohe auf. Dass Österreich heute kulinarisch so gut dasteht, habe das Land Rudolf Kellner vom legendären Altwienerhof und seinen Mitstreitern, etwa Niky Kulmer und Heinz Reitbauer sen., zu verdanken, die damals die Vision einer „Neuen Wiener Küche" postuliert haben.
In der Zeit, als die ersten Ausgaben des „Gault Millau" erschienen, waren die Gäste noch ehrfurchtsvoll, meint Karl Hohenlohe. „Wenn man ins Drei Husaren gegangen ist und die haben gesagt, der Wein ist gut, dann war der gut. Heute wissen die Gäste alles besser oder zücken ihr iPhone und vergleichen Preise." Die größte Veränderung sei der Stellenwert der Produzenten. „Eine Entwicklung der frühen Nullerjahre. Davor hätte keiner gefragt, woher das Fleisch kommt." Bei Edelprodukten war Rungis Express die Lieferquelle Nummer eins, „bei anderen Sachen war es komplett wurscht". Heinz Reitbauer sen. vom Steirereck war sicher einer der Ersten, die das geändert hätten, meinen die Hohenlohes, „der hat einem erzählt, dass er da einen tollen Bauern hat und so". Weitere frühere Beispiele: „Thorsten Probost, der zu jedem Kräutlein eine Geschichte weiß, Döllerer oder die Obauers, die schon früh eigenes Wild, eigenen Fisch hatten. Und einen Tischler, der ihre Schneidbretter macht."
„G’schmackig." Apropos Brüder Obauer, die die längstdienenden Vier-Hauben-Köche sind (seit der Ausgabe 1995): Sieht man sich Kritiken über ihr Lokal im Salzburger Werfen an, fällt auf, wie sich die Sprache im Guide geändert hat. 1987 etwa empfahl man den Lesern: „Machen Sie es uns nach. Probieren Sie das Kalbsbeuschl, den gebackenen Kalbskopf, die Schweinsbackerl in Blauburgunder, die Rotweinkutteln mit Eierschwammerln oder die Tafelspitzsulz. Alles sehr g’schmackig und höchst delikat." Beim Wort „g’schmackig" müssen beide lachen. Die Werbungen in den frühen Ausgaben zeigen übrigens nicht George Clooney, sondern sagen Dinge wie „Wo Tomaten noch Paradeiser sind" („Kurier") oder werben für eine neue Delikatesse namens Wildreis.
Und was waren die schmerzhaftesten Entscheidungen für Martina und Karl Hohenlohe? „Ganz klar, den Taubenkobel und Johanna Maier auf drei Hauben zurückzustufen." Der Koch mit der kürzesten Vier-Hauben-Karriere war Christian Petz, damals im Palais Coburg. „Den haben wir im Oktober angerufen, dass er vier Hauben hat, er hat gesagt, ,aha, blöd, ich gehe mit Dezember weg‘" – ins Badeschiff am Donaukanal. Von ganz schweren Fehlern sei man, zeigt sich Karl Hohenlohe froh, bisher verschont geblieben. „Einmal aber hatten wir einen Tester in Südtirol, der hat eine Einladung zu einer Weihnachtsfeier einfach gleich als Testessen verwendet." Mit einem Spezialmenü, das nicht repräsentativ war. „Der testet nicht mehr für uns." Was Martina Hohenlohe noch interessiert: Wie viel mehr Haubenlokale es im kommenden Guide gibt, im Vergleich zur allerersten Ausgabe. Zückt ihren Taschenrechner, tippt. „Das gibt’s ja nicht. Von 16 auf 654 – das ist genau das Vierzigfache!"
Tipp
40 Jahre „Gault Millau". Die Ausgabe 2019 wird am 24. 10. präsentiert.