„Österreich ist viel zu langsam“

Forschungspreisträger Sepp Hochreiter, flankiert von den FFG-Chefs Henrietta Egerth und Klaus Pseiner (l.).
Forschungspreisträger Sepp Hochreiter, flankiert von den FFG-Chefs Henrietta Egerth und Klaus Pseiner (l.).
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Forschung. Der Informatiker Sepp Hochreiter ist Pionier der künstlichen Intelligenz. Diese berge sowohl Nutzen als auch Gefahren. In Österreich ortet er massiven Nachholbedarf.

Heinz, ich brauche keine Medikamente“, sagte der erkältete Sepp Hochreiter zu dem intelligenten Assistenten von Moderatorin Claudia Reiterer: einer kleinen, weißen Box à la Alexa. „Ich weiß ja, wie schnell es gehen kann“, meinte der Informatiker, der am Dienstagabend als Österreicher des Jahres in der Kategorie Forschung ausgezeichnet wurde.

Dass künstliche Intelligenz (KI) an der Stimme den Gesundheitszustand erkennen kann, sei nicht weit hergeholt, sagt Hochreiter, eine Koryphäe auf dem Gebiet. Unlängst sei bekannt geworden, dass künstliche Intelligenz die sexuelle Orientierung eines Menschen erkennen kann. „Wenn man das erkennen kann – was kommt noch?“, fragt der Forscher. „Ob jemand kriminell ist, fleißig, faul? Das hört sich schon ,scary‘ an.“

Interessanterweise ist es Sepp Hochreiters eigene Technologie, die in vielen künstlich intelligenten Systemen steckt: Das sogenannte Short Long-Term Memory (SLTM), ein Speichersystem, das dem menschlichen Gehirn nachempfunden ist, liegt nicht nur der Sprachsteuerung von Amazons Alexa zugrunde, es findet sich auch in fast jedem Handy und ist zentral für autonome Autos.

In seinem Institut für Machine Learning an der Uni Linz gehen die weltweit führenden IT- und Automobilkonzerne ein und aus: von Google bis Audi; für den Automobilkonzern leitet er das Audi.JKU Deep Learning Center in Linz, in dem sozusagen das Gehirn für selbstfahrende Autos entstehen soll, Zalando und Amazon nutzen seine (nicht patentierte) Technologie, die Pharmabranche interessiert sich dafür, um die Medikamentenentwicklung zu verbessern.

Dabei hatte die Idee des heute 51-Jährigen erst einen späten Durchbruch: Als er das Konzept erstmals 1991 in seiner Diplomarbeit präsentierte, interessierte sich niemand dafür. Erst, als die Rechner schneller und die Datenmengen größer wurden, wurde die Methode ernsthaft aufgegriffen – und international gefragt.

In Österreich ortet der gebürtige Bayer – der bayerische Einschlag ist nicht zu überhören – einigen Nachholbedarf, was künstliche Intelligenz angeht, angefangen bei der Infrastruktur. „Österreich ist da einfach viel zu langsam“, sagt Hochreiter, der zahlreiche Regierungen berät, von Belgien bis Deutschland. „China und Russland geben da richtig Gas.“ Auch bei der Ausbildung müsse sich etwas tun, sagt Hochreiter, der selbst Informatik und Mathematik studiert hat. „Wir werden von Anfragen internationaler Unternehmen überrannt – aber wir haben viel zu wenige Leute.“ Kommendes Jahr will Hochreiter daher an der Uni Linz ein Artificial-Intelligence-Studium starten. „Wir sind total stark in allen Bereichen. Sich alles aus der Hand nehmen zu lassen wäre dämlich.“

„Methode ist weder gut noch schlecht“

Ob er angesichts der Gefahren der künstlichen Intelligenz – vom Erkennen der sexuellen Orientierung über massive Überwachung bis zu politisch manipulativen Chatbots – manchmal Skrupel hat? „Die Methode an sich ist weder gut noch schlecht“, sagt Hochreiter. „Das kann auf einer Rakete sitzen – es kann aber auch im Altersheim alten Menschen helfen, ausreichend zu trinken, es kann helfen, Verkehrstote zu vermeiden, Krankheiten besser zu diagnostizieren.“ Die Gesellschaft müsse entscheiden, was sie mit der künstlichen Intelligenz anfange.

Und wenn es künstliche Intelligenzen gebe, die Menschen angreifen, dann könnte es eines Tages auch welche geben, die einen vor ihnen schützen, sagt der Forscher: vielleicht eine Art persönlichen Assistenten, der einen warnt, dass bei dem Vorstellungsgespräch eine Gesichtsanalyse im Gange ist.

Hochreiter selbst nutzt künstliche Intelligenz jedenfalls auch im Alltag. Am Dienstagabend fragte er etwa sein Mobiltelefon nach dem Ergebnis des FC-Bayern-Fußballspiels, das er wegen der Gala verpasst hatte. Auch da übrigens gute Nachrichten: 2:0.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.10.2018)

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